Zwischen den Alben „You Come Before You“ und „Versions“ lag eine gefühlte Ewigkeit. Ihr neues Album „The Tropic Rot“ legten Poison The Well relativ schnell nach. Ich telefonierte mit Gitarrist Ryan um mit ihm über das neue Album zu sprechen. Die Band befand sich gerade in den USA auf dem Weg zu einer Show und Ryan musste sich immer wieder auch um den Weg kümmern, weshalb er ab und zu etwas abgelenkt wirkte. Trotzdem gab er bereitwillig Auskunft über die Entstehung ihrer aktuellen Scheibe.
Ihr habt ein neues Album draußen. Wie würdest du es charakterisieren?
Irgendwie finde ich, es hätte mehr Sinn gemacht, wenn dieses Album vor „Versions“ erschienen wäre. Es erscheint mir logisch gesehen eher der Vorgänger von „Versions“ zu sein. Es ist aber genau anders herum gekommen. Da wir „Versions“ nur zu dritt produziert haben und vieles davon erst im Studio entstanden ist, klingt es oft etwas überladen. „The Tropic Rot“ klingt straighter und nicht so vielschichtig.
Es ist interessant, dass du das so siehst. Ich habe „The Tropic Rot“ als den logischen Nachfolger gesehen. Es klingt als seid ihr dieses Mal sehr viel selbstsicherer gewesen mit dem neuen Sound, den ihr mit „Versions“ das erste Mal gezeigt habt.
Haha… ja, das ist mir auch recht. Lass uns deine Theorie nehmen. Aber du hast natürlich auch Recht. Wir haben sicherlich neue Elemente eingebaut. Beispielsweise haben wir Einflüsse aus Americana, Country und Surf Musik einfließen lassen. Wir haben darauf geachtet, dass diese Elemente sehr subtil verarbeitet werden. So dass sie in unserem Sound auch Sinn machen und nicht zu direkt über den Hörer herfallen. Ich denke, das ist uns besser gelungen als noch bei „Versions“. Ich liebe dieses Album, aber oft wusste ich nicht so genau wie ich diese Einflüsse wirklich nach uns klingen lassen kann. Ich wollte es verarbeiten, aber es klang dann eben wie Country, nicht wie Poison The Well mit einem Country Einfluss. Es war lang nicht so eloquent wie es hätte sein können, insofern hast du Recht, es war eine eher jugendliche Herangehensweise. Bei dem neuen Album liegt der Schwerpunkt allerdings eher auf Surf Musik, so ein Spaghetti Western Vibe.
Wie kommt das? Das sind jetzt nicht gerade typische Einflüsse für eine Hardcore Band.
Ich mag es sehr, etwas zu riskieren. Fast schon zu sehr. Ich mag außerdem den Komponisten Ennio Morricone sehr, wirklich sehr. Insbesondere die Sachen, die er für die Filme von Sergio Leone (Anm. d. Verf.: bekannter Italo-Western Regisseur) gemacht hat. Ich mag die Idee dieses Sounds. Er ist sehr melodisch und cineastisch, aber hat trotzdem diese Qualität, diesen Grip und doch diese Garstigkeit. An der Surf Musik liebe ich einfach die Akkordfolgen, die Art und Weise wie die Akkorde ineinander gehen und wie sie immer diese Energie haben. Das ist cool und erinnert mich sehr an Punkrock.
Hatte es einen Einfluss auf das Album, dass ihr in den USA und nicht wieder in Schweden aufgenommen habt?
Auf jeden Fall. Das hat dafür gesorgt, dass bestimmte Leute in der Band bei Verstand blieben. Wir waren in Schweden immer im Winter in einer kleinen Stadt. Dann war es immer dunkel, sehr kalt und es gab nichts zu tun dort. Für mich funktioniert das gut. Wenn wir aufnehmen will ich mich sowieso voll auf das Album konzentrieren. Einige der anderen brauchen aber auch mal eine Auszeit und müssen aus dem Studio raus um etwas zu Essen was sie gewohnt sind oder so. Manche Leute brauchen Buritos um einen klaren Kopf zu behalten.
Wie war die Arbeit mit Steve Evetts - anders als mit den Schweden?
Es war sehr cool. Er hatte sehr viel coole Ideen und Ergänzungen. Pelle und Eskil waren sehr penibel in vielen Dingen. Steve war das zwar auch, aber eben bei anderen Dingen. Teilweise waren sie das genaue Gegenteil. Pelle und Eskil waren sehr stur wenn es darum ging einen konstanten Beat beizubehalten. Steve hat hier etwas mehr Platz zum Atmen eingeräumt und die Drums auch mal abgehen lassen und sowas wie Fills zugelassen. Per und Eskil haben mich viel Krach machen lassen mit der Gitarre, während bei Steve alles genau gestimmt und präzise gespielt sein musste. Es war irgendwie gleich, aber eben doch anders, falls du weißt was ich meine.
Habt ihr euch vor den Aufnahmen zusammen gesetzt und einen gemeinsamen Weg bestimmt?
Steve und ich haben einen Monat zuvor telefoniert und uns ausgetauscht. Wir haben über einige der Ideen, die jeder hatte, gesprochen. Das hat sehr geholfen eine gemeinsame Vision zu entwickeln.
Ihr habt zwei neue Mitglieder in der Band. Wie hat das die Platte beeinflusst?
Das war cool. Es bedeutet, dass es weniger Arbeit für mich ist. „Versions“ war sehr anstrengend. Es gab viel zu viele 16 Stunden Tage an denen ich alles gemacht habe. Bei „Versions“ war es ok, dass wir nur zu dritt waren, das hatte etwas. Dieses Mal war ich aber froh, dass wir mehr waren. Ich glaube dieses Album wäre nicht so stark geworden wenn wir wieder nur zu dritt gewesen wären. Die beiden neuen haben definitiv viel zu den Songs beigetragen. Und natürlich auch Steve, das darf man nicht vergessen.
Inwiefern fühlt sich die Band heute anders an?
Die Band fühlt sich definitiv nicht mehr so düster an. Es schwebt nicht mehr permanent diese dunkle Wolke über unseren Köpfen. Wobei ich mir sicher bin, dass diese Wolke bald zurück kommt. Wir ziehen die Scheiße an. Wir geraten immer in turbulente Situationen. Wir sind oft so stur, dass wir es uns nicht gerade einfach machen. Aber ich möchte es gar nicht anders. Wenn man nicht stur bleibt und es sich selbst schwer macht, fängt man irgendwann an nur noch durchschnittliche Musik zu machen. Sobald man zufrieden ist mit dem was man tut, wird dein Output scheiße. Ich hoffe das passiert uns nicht.
Wofür steht der Titel der Platte?
Das ist ein Kommentar dazu, ein Einwohner von Florida zu sein. Es ist ein so schöner Ort an dem man sich so verloren fühlen kann und aus dem man schwer heraus kommt. Es ist auch ein Kommentar dazu, wie jeder über Florida denkt. Wenn man erzählt, dass man in Florida wohnt ist die Reaktion immer dieselbe: „Wow, der muss ja toll sein.“. So toll ist das aber nicht. Es ist heiß, die Leute sind jämmerlich, jeder behandelt den anderen wie Scheiße. Florida ist ein Sumpf. Wenn man erzählt man lebt in einem Sumpf, findet das niemand mehr so toll. Jeder denkt immer Florida sei überall wie in Disney Land, das ist es aber nicht. Ich lebe drei Stunden entfernt in einer beschissenen Nachbarschaft.
Wovon handeln die Texte? Es scheint als gäbe es ein Konzept.
Ja, das mag sein. Jeffrey redet kaum mit uns über die Texte. Er schreibt sie einfach, zeigt sie und lässt uns unsere eigene Meinung bilden. So werden sie auch für uns zu persönlichen Songs. Für einige gibt es ein Konzept, für andere nicht. Für mich gibt es eins. Für mich handelt das Album davon, die Schnauze voll zu haben und sich zu fühlen als drehe man sich im Kreis. Es satt zu haben an demselben Ort zu sein und dieselbe Person zu sein. Darum drehen sich in meinen Augen viele der Texte.
Wie verarbeitest du diese Gefühle?
Ich schreibe Musik.
Und das hilft?
Ja, und nein. Es bringt mich durch den Tag. Ich bin in letzter Zeit ein verbitterter Mensch geworden. Es ist viel passiert in den letzten Jahren und ich fühle mich als ob ich nicht zur Ruhe komme. Ich warte darauf, dass mir die Sonne auch mal aus dem Arsch scheint.
Es heißt ja oft, dass unglückliche Menschen die besseren Künstler sind.
Ja, ich kann diese Verbindung auch sehen. Ich würde mir allerdings wünschen, dass es andersrum wäre. Je glücklicher man ist, desto besser sollte deine Kunst werden. Ich denke aber, dass viele Ausdrucksformen natürlicherweise aus der Wut und Frustration entstehen. Niemand wacht morgens auf und fängt an darüber zu schreien wie glücklich er ist. Die Leute haben ein stärkeres Mitteilungsbedürfnis wenn sie wütend oder aufgeregt sind. Das liegt in der Natur des Menschen. Ich kann das definitiv auch an mir beobachten. Obwohl es mir wie gesagt andersrum lieber wäre.
Nach der Show heute Abend geht es dir sicher besser.
Kommt ganz drauf an wie wir spielen. Spielen wir gut sicher, spielen wir schlecht werde ich nur noch wütender.
Das Artwork schaut sehr untypisch aus. Andererseits ist es auch schwer zu sagen was ein typisches Poison The Well Cover ist.
Ja, das stimmt. Wir versuchen immer etwas Originelles zu machen. Das Artwork besteht aus Bildern von Jeffreys Familie. Sein Großvater, sein Onkel, seine Mutter sind auf dem Cover. Wir hatten diese Idee, Familienbilder und Postkarten aus Florida in das Artwork zu machen. Jeffrey hatte einfach die besten Bilder. Das hat es auch zu einer sehr persönlichen Sache gemacht.
Was symbolisiert es für dich?
Das Artwork symbolisiert gewöhnliche Menschen. Wir alle haben ähnliche Bilder von unserer Familie. Aber man schaut sie nie an, sondern hat sie in einem Album. Es war sehr cool, sie alle heraus zu holen und anzuschauen. Es ist schon gewagt diese persönlichen Dinge in die Öffentlichkeit zu tragen. Vielleicht erinnert sich so der eine oder andere daran, dass er ähnliche Bilder habt und ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Vielleicht sollten diese wieder aufgewärmt werden.
Mit „Versions“ habt ihr eine recht starke Veränderung in eurem Sound vorgenommen. Wie haben die Leute darauf reagiert?
Ich würde sagen das war so 50/50. Die Hälfte der Leute dachte, es sei der größte Scheiß überhaupt und die andere Hälfte fand es gut, dass eine Band den Mut hatte einen solchen Schritt zu wagen. Es gibt in meinen Augen nicht mehr viele Bands die so etwas machen. Vieles klingt heute doch gleich. Es gibt sicherlich auch jetzt viele Leute die das Album nicht mögen werden. Aber um ehrlich zu sein kümmert mich das nicht allzu sehr. Ich will einfach nur ehrliche Musik machen die mich bewegt. Um alles andere kümmere ich mich dann danach. Ich mach das nicht um jemanden zu beeindrucken.
Siehst du Poison The Well noch immer als Hardcore Band?
Ich denke, dass unsere Persönlichkeiten noch immer sehr stark mit den Idealen und der Ethik von Hardcore verbunden sind. Musikalisch gesehen ist es schwer uns zu kategorisieren. Ich denke aber schon, dass wir noch Teil dieser Szene sind. Die Werte und Vorstellungen sind mir noch sehr wichtig.
Findest du, dass diese Werte heute durch die Popularität von Hardcore gefährdet werden?
Ich kümmere mich eigentlich nicht darum wie Hardcore von anderen gelebt wird und ich kümmere mich auch nicht darum was gerade angesagt ist und im Trend liegt. Ich versuche einfach selbst ehrlich und direkt zu sein und auf dem Boden zu bleiben. Ich kann nicht kontrollieren was andere Leute tun. Viele Dinge, die in der Szene passieren, regen mich auf, andere finde ich wiederum sehr gut. Es gibt sicher Gewalt und Sexismus in der Szene, das kotzt mich an. Aber auf der anderen Seite fangen wieder immer mehr Leute an, Zines zu machen und es gibt neue Versionen von Online Communities, denen es wirklich gelingt den ursprünglichen Geist von Hardcore einzufangen. Das Internet hilft der Szene sehr und ermöglicht es Leuten, die sich sonst nie getroffen hätten, miteinander zu kommunizieren.
Ich habe in einem Interview mit dir gelesen, wie sehr du es hasst wenn Poison The Well in Internet Foren schlecht gemacht werden.
Ja, sicher. Aber ich kann nichts dagegen machen. Die sollen sagen was sie wollen, mir ist das egal. Es ist irgendwie auch cool, dass diese Kids dieses Ventil haben. Ich versteh nicht ganz warum sie glauben jemand würde sich um diese Aussagen kümmern. Jeder soll das Ventil haben das er braucht. Davon abgesehen sorgt das auch für köstliche Unterhaltung. Das ist manchmal feinste Comedy. Ich wurde neulich ein „Knob-Jockey“ genannt. Ich weiß nicht einmal was das bedeuten soll.
Ihr habt die Leftovers von „Versions“ auf 7“ veröffentlicht. Wird es diese Songs auch auf CD geben?
In den Staaten haben wir die Songs auf CD in limitierter Auflage heraus gebracht. Wir dachten nicht, dass sich jemand wirklich für diese Songs interessiert. Es ist keine weitere Veröffentlichung geplant.
Habt ihr Pläne, in Europa zu touren?
Ja, wir kommen im November mit Rise Against und Thursday rüber. Das ist ein tolles Paket und wir sind mit beiden Bands gut befreundet. Es wird also eine Mischung aus coolem Abhängen und großartiger Musik.
Hast du noch letzte Worte?
Ich möchte mich bei dir für das Interview bedanken. Es ist schön zu sehen, dass sich jemand für uns und unsere Musik interessiert.
Rolf Gehring
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