With Full Force XIX /
Nach einer unerwartet schleppenden, hitzigen und durch Staus noch zusätzlich in die Länge gezogenen Anreise traf die Helldriver-Fraktion mit einiger Verspätung auf dem Flugfeld in Roitzschjora ein. Der traditionelle Austragungsort des With Full Force Festivals hatte sich aber im Vergleich zu den Vorjahren ziemlich verändert. Nicht nur, dass sich unter den Besuchern Ratlosigkeit breit machte, auch die Ordner wussten teilweise nicht wirklich über die genaue Lage der einzelnen Campingplätze Bescheid. Nachdem wir schließlich doch noch eine geeignete Stellfläche fanden, wurde unsere Kunststoffbehausung aufgebaut und aufgrund der Erfahrungen mit Regen und Sturm aus dem letzten Jahr zusätzlich abgesichert, bevor die obligatorischen Begrüßungsbierchen geköpft wurden. Alsbald machten sich der treue Berichterstatter und seine Begleitung auf den Weg, das völlig umgekrempelte Festivalgelände auszukundschaften. Da der benachbarte Baggersee beträchtlich erweitert wurde, mussten sich die Veranstalter mit schwierigen räumlichen Gegebenheiten arrangieren und hatten sich hierbei nicht sonderlich geschickt angestellt: Nicht nur, dass man vom Pressezeltplatz knapp 20 Minuten unterwegs war, um zur Hauptbühne zu gelangen, auch die Platzierung der Duschen und Toiletten ist im besten Fall als missglückt zu bezeichnen. Und mit der völlig vergurkten Anordnung der einzelnen Bereiche hinter Bühne (Parkplätze, VIP, Bands und Presse…) will ich mich gar nicht erst aufhalten. Aber wenigstens schien das Wetter mitzuspielen, denn was will man mehr als strahlenden Sonnenschein und Temperaturen weit jenseits der 30-Grad-Marke?! Doch das sollte nicht das gesamte Wochenende so bleiben, denn in der Nacht von Samstag auf Sonntag wurden wir Zeugen eines Gewitters, das nicht nur einiges an Sachschaden, sondern vor allem zahlreiche Verletzte hinterließ… doch dazu später mehr.
Freitag, 29.06.2012
Je näher wir der Mainstage kamen, desto deutlicher wurde, dass sich die Soundverhältnisse im Gegensatz zu vielen Freitagnachmittagen der WFF-Vergangenheit erstaunlich gut anließen. Gerade richtig zu den letzten vier Stücken von Madball hatten wir den Festivalacker erreicht und kamen so noch in den Genuss einer exzellent aufgelegten NYHC-Truppe, die schon in der Vergangenheit bewies, dass sie ohne weiteres in der Lage ist, die Mainstage eines größeren Festivals zu rocken. Freddy Cricien hüpfte wie ein Duracell-Bunny auf Speed über die Bretter und heizte dem vielköpfigen Auditorium ordentlich ein. Der zuvor erwähnte Bombensound tat ein Übriges, um uns einen mehr als gelungenen Einstieg in das 19. Full Force zu bescheren. Allerdings setzte uns im Folgenden die stechende Sonne mehr zu als gedacht und zwang uns, den langen Weg zurück zum Zelt in Kauf zu nehmen, um uns mit einer Unmenge an Wasser, einer zusätzlichen Schicht Sonnencreme und einem nassen Handtuch um den Hals auszurüsten.
Dank eines kleinen Zwischensprints kam die baden-württembergische Abordnung gerade noch rechtzeitig zum Pennywise-Gig. Dummerweise hatte Zoli Téglàs, der seit 2010 den Gesangspart bei den Kaliforniern innehat, mit erheblichen Rückenproblemen zu kämpfen, wodurch seine Bühnenpräsenz einen unfreiwillig komischen Touch bekam. An seiner exzellenten Gesangsleistung hingegen gab es überhaupt nichts auszusetzen, ebenso wenig wie an seinen lockeren, teilweise sehr humorvollen Ansagen. Die Performance seiner Bandkollegen stand dem in nichts nach und sorgte für einen zwar ungewohnt statischen, aber dennoch sehr intensiven Auftritt. Insbesondere das legendäre Bro Hymn versetzte die Menschenmasse in Wallung und wurde lautstark mitgesungen. Selbst als das Stück eigentlich schon zu Ende war, schallte das vielstimmige „Oh-Oh-Ohhh…“ des Refrains noch minutenlang über die Festivalwiese. Ein Gänsehautmoment wie aus dem Bilderbuch!
Was sich mehr oder weniger parallel dazu auf der Zeltbühne abspielte, war aber auch nicht von schlechten Eltern: We Butter The Bread With Butter konnten sich tatsächlich einer beinahe so großen Zuhörerschaft wie Pennywise auf der Mainstage erfreuen! Es war uns beim besten Willen nicht möglich, auch nur einen Blick auf deren Auftritt zu werfen, da sich die Massen bereits außerhalb des Zelts auf die Füße traten. Anhand der Beifallsstürme des Publikums kann man aber sicherlich sagen, dass sich die Jungs die Butter nicht vom Brot nehmen ließen…
All diejenigen, die sich – genau wie der Autor dieser Zeilen – auf Lamb Of God gefreut hatten, sollten eine herbe Enttäuschung erleben, denn dieser Auftritt wurde kurzfristig abgesagt. Frontmann Randy Blythe war bei der Ausreise aus Tschechien von den dortigen Behörden aufgrund eines Vorfalls vor zwei Jahren, bei dem ein Zuschauer während einer LOG-Show zu Tode kam, festgesetzt worden. Als Ersatz durften Emmure ihren Auftritt auf der Hauptbühne anstatt im Zelt absolvieren und kamen so in den Genuss eines erheblich größeren Publikums. Dieser Umstand hielt allerdings nicht lange an, denn recht schnell sah man große Teile der Menschenmenge abwandern und sich den zahlreichen Fress- und Trinkattraktionen zuwenden. Schade eigentlich, denn die Metal-/Deathcore-Formation legte sich gewaltig ins Zeug und konnte durch ein nahezu perfektes Zusammenspiel überzeugen. Allerdings hielt lediglich der harte Kern der Core-Gemeinde zur Stange und feierte seine Helden überschwänglich ab. Diese Mädels und Jungs blieben dann auch gleich im Pit, denn direkt im Anschluss standen Suicide Silence auf dem Plan. Aber auch hier fiel der Zuspruch der restlichen Besucher eher bescheiden aus. Ob es nun daran lag, dass sich diese zwei Bands im Package einfach zu ähnlich sind, oder dass die Herrschaften aus Riverside, Kalifornien der großen Aufgabe als Co-Headliner nicht gewachsen waren, bleibt zu erörtern. Jedenfalls konnten sie große Teile der Festivalmeute, uns eingeschlossen, keinesfalls überzeugen. Vor allem Mitch Lucker war an diesem Abend stimmlich lediglich ein Schatten dessen, was man von ihm durch die Tonkonserven der stillen Selbstmörder gewohnt ist, und so wollte der Funke auch zu keinem Zeitpunkt richtig überspringen. Wir ergriffen die Gelegenheit, um etwas Ess- und vor allem Trinkbares zu beschaffen. Dabei sollte sich herausstellen, dass sich die Geschmacksrezeptoren des Autors – wohl durch regelmäßige WFF-Besuche – mittlerweile an das lokal gefeierte Braustolz-Gesöff gewöhnt hatten. Erstaunlich.
Machine Head
So gestärkt waren wir in der denkbar besten Stimmung, um den Festival-Headliner in vollen Zügen genießen zu können: Machine Head. Robb Flynn und seine Kollegen gönnten sich den Bonus einer kleinen Verspätung, die von den Fans mit den obligatorischen „Machine Fucking Head“-Sprechchören überbrückt wurde. Dann allerdings legten sie mit „I Am Hell (Sonata in C#)“ sprichwörtlich explosionsartig los und zelebrierten nicht nur dank einer brennendheißen Pyroshow einen äußerst spektakulären Auftakt. Das sich anschließende „Old“ wurde mit ähnlicher Intensität dargeboten, bevor sich der Frontmann Zeit nahm, seine Fans zu begrüßen und mit einem frischen Bierchen in die Runde zu prosten. Überhaupt war zu beobachten, dass die Neo-Thrasher nicht nur äußerst souverän, sondern auch sehr entspannt zu Werke gingen. Man ließ sich zwischen den einzelnen Songs viel Zeit und gab sich betont relaxt, was einen sehr effektvollen Kontrast zum hohen Tempo der Musik lieferte. Sicherlich waren auch die angeschlagenen Stimmbänder des charismatischen Bandchefs für einige längere Pausen verantwortlich, wobei er mit diesem kleinen Handicap aber auf die denkbar professionellste Weise umging. Weitere Höhepunkte des insgesamt sehr guten Sets waren zweifellos das übermächtige „Locust“ und natürlich die Hymne „Ten Ton Hammer“. Einen sehr stilvollen Soloauftritt bot Flynn beim ruhigen Einstieg in „Darkness Within“, welchen er mit Akustikklampfe und verhältnismäßig überzeugender Stimme zum Besten gab. Gegen Ende hin brachte „Halo“, der Hit von „The Blackening“, die tanzwütige Menge schon an die Grenzen ihrer Belastbarkeit, bevor sie mit dem Rausschmeißer „Davidian“ dann endgültig bedient wurde. Mit dieser Show wurden die Herren aus Oakland ihrem Headliner-Status mehr als gerecht und dürfen sicherlich behaupten, das diesjährige WFF mitgeprägt zu haben.
Machine Head
Setlist: I Am Hell (Sonata in C#)“, Old, Imperium, Beautiful Mourning, Locust, Aesthetics Of Hate, Darkness Within, This Is The End, Ten Ton Hammer, Halo, Davidian
Da Machine Head ein wenig überzogen hatten, mussten Dark Funeral ihren Auftritt vor der erschreckend geringen Zahl von geschätzt 150 Leuten beginnen. Dank enormer Lautstärke und messerscharfem Sound füllten sich die Reihen unter der Zeltkuppel aber recht schnell, und zur Hälfte der Show hatte die Knüppelnacht 2012 dann auch richtig begonnen. Nachtgarm, der übrigens seit genau einem Jahr bei den Schweden das Mikro traktiert, hat sich perfekt in diese Combo eingefügt und konnte, genau wie der Rest der Schwarzmetaller, das immer zahlreicher werdende Publikum begeistern.
Gegen 1 Uhr betraten John Gallagher, Sean Beasly und Co. die Planken der Tentstage und machten in Sachen Tempo und Technik wie gewohnt keine Gefangenen. Die wilde Griffbrettakrobatik und halsbrecherischen Riffstürme bohrten sich in die Ohren der Dying Fetus-Anhänger und wurden durch wild kreisende Haarmähnen honoriert. Dabei stellte sich neben den altbekannten Ballerhits insbesondere der neue Song „Invert The Idols“ als echter Nackenbrecher heraus. Allerdings forderte diese anspruchsvolle Musik mit zunehmender Spieldauer auch ihre Opfer, denn bei vielen Zuhörern stellten sich aufgrund der fortgeschrittenen Uhrzeit, der etwas statischen Bühnenshow und des Konsums gewisser alkoholischer Getränke erste Ermüdungserscheinungen ein. Lediglich die Antifans von Endstille waren noch hellwach, als anschließend ihre Feindbilder den Schauplatz betraten und mit einem Wunderkerzenbombardement empfangen wurden. Für die Helldriver-Abordnung war es nun an der Zeit, das große gegen unser kleines Zelt einzutauschen und die Berichterstattung für diesen Tag einzustellen.
Samstag, 30.06.2012
In den frühen Morgenstunden gab ein erster heftiger Regenschauer einen Ausblick auf das, was uns in der kommenden Nacht erwarten sollte. Doch kurz darauf waren wieder Witterungsbedingungen der Jahreszeit entsprechend, inklusive Sonne en masse, angesagt. Nachdem wir ausgeschlafen und königlich gespeist hatten, machten wir uns wieder mit nassen Handtüchern und Mützen bewaffnet auf den Weg in die Hitzehölle des Roitzschjora’schen Flugplatzes.
Doch bereits nach den ersten Akkorden der DDR-Nostalgiker Elsterglanz verzogen wir uns in den Schatten des Pressezelts, um mit Hilfe von gekühlten Getränken auf andere Gedanken zu kommen. Im Anschluss standen Excrementory Grindfuckers auf dem Plan, der aber durch einen überlangen Soundcheck einige Verzögerung erfuhr. Die ebenso witzige wie eigenwillige Grindcore-Schlager-Mischung der fünf Hannoveraner kam beim Publikum recht gut an und sorgte auch bei uns für Kurzweile.
Der Hitze wegen begaben wir uns aber alsbald zum Hardbowl-Zelt, wo wir uns von Texas In July was auf die Ohren geben ließen. Alex Good und seine Jungs boten eine souveräne Performance und konnten nicht nur durch die exzellente Mischung aus Songs der beiden Alben „One Reality“ und „I Am“ begeistern, sondern in erster Linie durch ihre energische Bühnenpräsenz. Die durchaus beachtliche Zuschauermenge zeigte sich sehr tanzfreudig und in bester Laune, wodurch allen Beteiligten zu einem klasse Samstagnachmittag verholfen wurde. Ähnlich gut in Form, wenn nicht sogar einen Tick besser, präsentierten sich Stick To Your Guns, die mit ihrem Orange County Hardcore höchste Punktzahlen einfahren konnten. Die ganz großen Highlights dabei waren ohne jeden Zweifel „Amber“ und „We Still Believe“, die beide bis in die hinteren Reihen mitgesungen wurden. Allerdings wurde uns die Luft unter der Zeltkuppel nach diesem schweißtreibenden Auftritt zu stickig, weshalb sich die schwäbisch/badische Crew erst einmal zum Chillen zurückzog.
Mit aufgeladenen Akkus fand man sich dann pünktlich zu Ektomorf wieder vor der Mainstage ein. Wie schon in vergangenen Jahren machte der Witz im Publikum die Runde, dass Soulfly doch erst am Sonntag spielen sollten (aufgrund der Parallelen von beiden Bands). Ob man die Ungarn nun für einen Cavalera-Abklatsch hält oder nicht, ändert nichts an der Tatsache, dass Ektomorf rockten. Unterstützt vom ehemaligen Pantera- und aktuellen Kill Devil Hill-Basser Rex Brown legten sich die Tribal-Metaller ordentlich ins Zeug und ernteten dafür von der sichtbar angetanen Menge überschwängliche Ovationen.
Um exakt 18:45 Uhr erklommen die schwedischen Chaos-Metaller von Meshuggah die Bretter der Hauptbühne. Leider hatte der Fünfer von Beginn an mit Soundproblemen zu kämpfen und der Gesang war während der ersten zwei Stücke überhaupt nicht zu hören. Dadurch kam auch das Publikum nur schleppend in Gang, was sich aber änderte, als plötzlich die markante Stimme von Jens Kidman aus den Boxen schallte. Nun sah man viele kreisende Köpfe und auch das Moshpit wurde von Song zu Song zunehmend monströser. Auch wenn die Band anfangs sichtlich genervt war, gab sie sich keine Blöße und knallte ihre polymetrischen Songmonster routiniert und extrem punktgenau auf die Matte. Die erfreulich große Menschenmenge kam immer mehr in Fahrt und so wurde aus diesen 45 Minuten gegen Ende noch eine richtig geile Show, die von den Fans durch lang nachhallende „Meshuggah“-Chöre gewürdigt wurde.
Meshuggah
Als Pausenfüller kam nun eine Art Blasmusik-Kapelle mit DJ auf dem Balkon des Jägermeister-Blockhauses zu der Ehre, vor etlichen tausend Leuten zu spielen. Ihr Medley aus bekannten Pop-, Schlager- und Rock-Klassikern traf aber nicht nur auf positive Reaktionen… Jedenfalls kann man sich keinen größeren musikalischen Kontrast vorstellen, als dann urplötzlich Cannibal Corpse in die Saiten griffen. Angeführt vom Corpsegrinder stürzten die Amis das WFF in die tiefsten Death-Abgründe. Aber auch dieser Gig war zumindest abschnittsweise von bescheidenen Klangverhältnissen geprägt, was sich vor allem durch zu lauten Gesang und eine übersteuernde Bass Drum bemerkbar machte. Der Bühnensound schien aber richtig gut zu sein, denn die Herren waren für ihre Verhältnisse ziemlich agil unterwegs. Wie üblich widmete George Fisher „Fucked With A Knife“ einer bestimmten Personengruppe, und auch die anderen Bandhymnen wie „Priests Of Sodom“, „Make Them Suffer“ oder „Hammer Smashed Face“ durften natürlich nicht fehlen. Alles in allem ein solider Auftritt, der mit viel Druck und Präzision durchgeholzt wurde. Nett.
Nun war es an der Zeit, vom Death Metal- in den Black Metal-Modus zu wechseln, denn Immortal schickten sich an, das Full Force zu beschallen. Um es aber gleich vorweg zu nehmen, auch die Norweger hatten gewaltige Unebenheiten in ihrem Sound. So gewaltig, dass das Management der Band zusammen mit einigen Offiziellen vom Bühnenrand aus versuchte, den Akteuren mitzuteilen, sie müssten eine Pause einlegen, um das Problem in den Griff zu bekommen (später erfuhr ich, dass es wohl den ganzen Samstag über Schwierigkeiten mit der Mischpult-Software gab). Obwohl Sänger Abbath diese Gesten wahrnahm, wusste er sie offenkundig nicht zu deuten, denn anstatt aufzuhören, spielten die Jungs nur noch verbissener, und der schwarz-weiß bemalte Frontmann wurde in seinen engen Leggins, mit sich deutlich abzeichnendem Gemächt, zusehends angepisster. Gegen Ende des Sets verbesserte sich dann zwar der Klang vor der Mainstage, und die Band konnte so wenigstens noch ihre Fans halbwegs versöhnen, aber auch das änderte nichts daran, dass Immortal an dieser Stelle einfach nicht ins Line Up passten. Auch mit perfektem Sound hätten die Schwarzmetall-Veteranen wohl vor halbleerer Festivalwiese gestanden.
Immortal
Die sich anschließende Umbaupause wurde mit lecker vegetarischem Finger Food von den Berliner Krishnas überbrückt, um sodann mit frischem Pils im Anschlag auf die Lokalmatadoren Heaven Shall Burn zu warten. Gleich mit dem Opener „Echoes“ wurde klar, dass allen Anwesenden ein unvergessliches Erlebnis bevorstünde. Nicht nur weil die Jungs in allerbester Spiellaune aufliefen, eine Wahnsinnsvideoshow im Gepäck hatten und zusammen mit ihren Anhängern neue Circle Pit-Rekorde aufstellen wollten, sondern auch weil schon während des zweiten Songs „The Weapon They Fear“, einem Edge Of Sanity-Cover, eine mehr als bedrohlich wirkende Gewitterfront auf das Gelände zuhielt und mit immer näher kommenden Blitzeinschlägen die Aufmerksamkeit der Konzertbesucher auf sich zog. Als dann einer ihrer Hits „Endzeit“ aus den Boxen donnerte, öffnete der Himmel nicht nur alle Schleusen, sondern glühte förmlich vor ununterbrochen niedergehenden Blitzen (interessante Parallele zu Band- und Songname übrigens). Viele der bisher noch ausharrenden Musikfans hatten aber mit dem zusätzlich einsetzenden Hagel ihre Schmerzgrenze erreicht und flüchteten zu den umliegenden Vordächern und Zelten der Verpflegungsstände, oder machten sich ganz aus dem Staub (oder vielmehr aus dem Schlamm). Allerdings tummelte sich immer noch der harte Kern der HSB-Fans vor der Mainstage und trotzte zusammen mit der Band allen Kräften der Natur. Dass zeitweise die Videotechnik versagte und der Ton aussetzte, oder dass einige Roadies zum Bühnendach klettern mussten, um dort Teile der Lichtanlage vor Wassereintritt zu schützen, störte niemanden und die Party ging munter weiter. Zwar musste zwischenzeitlich dann doch unterbrochen werden, weil soundtechnisch gar nichts mehr ging, aber schließlich fanden sich die Musiker nochmals zu einer kleinen Zugabe, die in „Counterweight“ gipfelte, ein. Was für eine Show! Ich denke, kaum einer der Anwesenden dürfte diesen Auftritt jemals vergessen…
Heaven Shall Burn
Gerade rechtzeitig zum obligatorischen Feuerwerk hörte auch der Regen wieder auf, und auf einmal war wieder alles in bester Ordnung. Die Saturday Night Fever-Bands spielten munter auf und auch im VIP-Bereich wurde amtlich gefeiert. Allerdings nur bis ca. 1:30 Uhr, denn zu diesem Zeitpunkt brach ziemlich unvermittelt das eigentliche Unheil über das With Full Force herein. Die Ereignisse bei Heaven Shall Burn waren nichts im Vergleich zu dem, was jetzt folgen sollte: Platzregen, Windstärke 11, Blitze im Sekundentakt, Zelte, die wie Pappschachteln weggeweht wurden und Menschen, die verzweifelt Unterschlupf suchten. Kurz darauf wurde die Show von The Carburators auf der Tentstage abgebrochen, da die Bühne vom Wind teilweise aus ihrer Verankerung gerissen wurde und ein durch die Luft gewirbelter Red Bull-Stand ein meterlanges Loch in die Zeltkuppel riss. Ungefähr zeitgleich evakuierte man den Pressebereich, da auch hier Personenschäden zu befürchten waren. Und es sollte noch schlimmer kommen: Gegen 2:00 Uhr schlug ein Blitz in den Mast neben einer Cocktailbar ein und verletzte 51 Menschen in der näheren Umgebung, mehrere davon schwer. Drei der Verletzten mussten sogar reanimiert werden, wie am nächsten Tag in den Medien berichtet wurde…
Noch in der Nacht beschlossen zahlreiche Besucher ihre zerfetzten Zelte, durchnässte Kleidung und aufgeweichten Essensvorräte einfach zurückzulassen und sich auf den Heimweg zu machen. Diejenigen, die es weniger schlimm erwischt hatte, halfen ihren Nachbarn mit trockenen Klamotten, einem Schlafplatz, ein paar Dosen Ravioli inklusive Kocher oder einfach mit einem großen Schluck Jägermeister aus der Klemme. Obwohl die Helldriver-Crew aufgrund einer Art Eingebung noch glimpflich davongekommen war (nur Minuten bevor es losging, verfrachteten wir einen Teil unseres Gepäcks und uns selbst zurück ins Auto), ging zumindest unser Zelt samt Isomatten und Schlafsack baden. Auch wenn wir das Gröbste im Trockenen überstanden hatten, an Schlaf war in dieser Nacht nicht wirklich zu denken…
Sonntag, 01.07.2012
Am nächsten Morgen stellte sich mit den ersten Sonnenstrahlen das volle Ausmaß des nächtlichen Unwetters dar: Der Campingplatz glich im wahrsten Sinne des Wortes einem Schlachtfeld! Umgestürzte Zäune und Lichtmasten, überflutete Fahrwege und Zeltruinen wohin man blickte. Auch wurde die Schlange der abreisenden Besucher immer länger, und man hatte mitunter den Eindruck, das Festival könnte schon vorüber sein. Da der Wetterbericht für heute ebenfalls Gewitter vorhergesagt hatte, beschlossen wir im Laufe des Tages das Feld zu räumen. Nachdem unsere temporäre Behausung, die doch mehr als gedacht in Mitleidenschaft gezogen worden war, abgebaut und alles verstaut war, machten wir uns auf, wenigstens noch ein paar musikalische Eindrücke mitzunehmen.
Der Sonntagnachmittag startete allerdings mit einer großen Enttäuschung, denn Gojira hatten aufgrund eines Krankheitsfalls abgesagt. In die Bresche springen durften Neaera aus Münster, die wohl recht kurzfristig über ihr Glück informiert worden waren und dementsprechend nervös ihr Set begannen. Allerdings zu unrecht, denn die Jungs waren richtig gut. Allen voran Frontmann Benni, der sich sehr stimmgewaltig präsentierte und zudem die Nähe zum Publikum suchte: Crowdsurfen war angesagt! Außerdem wurde noch eine Wall of Death organisiert, und die Stimmung, die sowohl auf, als auch vor der Bühne herrschte, hätte vermuten lassen können, dass hier schon der Headliner zu Werke ging. Somit waren die Münsteraner ein würdiger Ersatz für die von Krankheit gebeutelten Franzosen.
Der kurze Abstecher zur wieder instand gesetzten Zeltbühne lohnte sich hingegen weniger, da Xibalba entweder einen schlechten Tag erwischt hatten, oder einfach nur eine zweitklassige Liveband sind. Die merkwürdige Performance der Combo aus Los Angeles wirkte einstudiert und beinahe schon wie eine Choreografie. Was hier eindeutig fehlte, war Leidenschaft. Im Gegensatz zu ihren Tonträgern, die durchaus erstligatauglich sind, wollte der Funke heute nicht überspringen, und so wunderte es mich auch nicht, dass diese Show lediglich von einer handvoll Leuten verfolgt wurde. In das gleiche Schicksal mussten sich auch Kill Devil Hill auf der Hauptbühne fügen, denn hier war die Wiese gerade mal bis zum ersten Wellenbrecher gefüllt. Schade, denn dieser Auftritt hätte weitaus mehr Zuschauer verdient gehabt. Die Herren um Rex Brown rockten wirklich amtlich, und auch die Soundverhältnisse waren überdurchschnittlich gut. Allerdings wollte die staubtrockene Southern Rock-Variante des Quartetts so überhaupt nicht zum Billing des heutigen Tages passen. Trotz unermüdlicher Anfeuerungsversuche kam die träge Menge nicht in Gang, und Kill Devil Hill mussten sich schließlich damit abfinden, hier irgendwie fehl am Platz zu sein.
Kill Devil Hill
Ganz anders sah das Bild für die US-Boys von Unearth aus: Ein gut gefüllter Festivalacker, strahlender Sonnenschein und ein Moshpit, das geradezu geil auf Metalcore war, lieferten beinahe perfekte Rahmenbedingen für eine super Show. Insbesondere Sänger Trevor Phipps und sein getreuer Gitarrero Buz McGrath, der zwischenzeitlich einen Rollwagen als Skateboard missbrauchte und so immer wieder vom einen Ende der Bühne zum anderen rollte, hatten die Menschenmasse bestens im Griff und heizten ihr mit jedem Song mehr ein. Dass die Jungs in den vergangenen Wochen einen Arsch voll Auftritte im Rahmen ihrer Europatour absolviert hatten, merkte man ihnen konditionell keineswegs, vom professionellen Standpunkt aus dafür umso mehr an. Wow, was für eine Bühnenpräsenz! Kein Wunder, dass es ihnen die Fans mit wilden Circle Pits und stärkster stimmlicher Unterstützung dankten. Für die fünf Amis war dies mit Sicherheit ein grandioser Abschluss einer erfolgreichen Tour, und für die WFF-Besucher ohne Zweifel einer der Höhepunkte des Festivals.
Unearth
Noch während der Umbaupause zogen in der Ferne wieder dunklere Wolkenfetzen auf und wir fingen an zu überlegen, ob es nicht an der Zeit wäre, den 700 km langen Heimweg anzutreten. Allerdings wollten wir Pro Pain noch eine Chance geben und ließen uns überraschen, in welcher Konfiguration die Band anno 2012 auflaufen würde. Diese Entscheidung war nicht die beste, denn was Gary Meskil mittels seiner neuen Mitstreiter auf die Beine gestellt hatte, war eher peinlich als unterhaltsam. Zwei völlig übermotivierte Hampelmänner rahmten den, in diesem Zusammenhang furchtbar alt wirkenden, Frontmann ein und ließen keine noch so kleine Gelegenheit aus, einen halsbrecherischen Move oder eine sonstige aufgesetzte Pose an den Mann zu bringen. Für uns war dies schließlich das Stichwort, sich vom Acker zu machen und die gute Laune, die Unearth hinterlassen hatten, mit auf den Weg zu nehmen.
Trotz der einschneidenden Erlebnisse, die ein Jahrhundertunwetter eben so mit sich bringt, war das 19. With Full Force ein weiteres Mal die Reise wert. Das mögen vielleicht einige der Leute, die zusammen mit ihrem Zelt auch ihr gesamtes Zeug verloren haben, anders sehen, aber zumindest für die meisten Besucher bot das Festival auch dieses Jahr wieder eine bunte und ansprechende Musikmischung unterschiedlichster Gangart und Herkunft. Somit kann ich für das kommende Jubiläumsfest mit Sicherheit voraussagen, dass das Helldriver Mag wieder vor Ort sein wird. Bis zum nächsten Jahr… Prost.
Text und Fotos: Chris Jennert
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