Im Rahmen ihrer Europatour hatte ich in Winterthur (Ch) Gelegenheit ein Interview mit Chris (vox/guit.) und Todd (bass) von Propagandhi zu führen. Todd hat sich dabei nur wenig beteiligt. Soweit nicht anders gekennzeichnet stammen die Aussagen von Chris. Beide waren sehr angenehme und intelligente Gesprächspartner. Here we go!.
Stellt doch erst mal die Band vor und erzählt ein bisschen was aus eurer Geschichte.
Ich bin Chris, das ist Todd. Jord ist nicht hier. Ich und Jord haben die Band 1996 gegründet. Wir hatten verschiedene Bassisten bis wir den in Todd den perfekten gefunden hatten. Und heute sind wir hier mit dir und werden von dir interviewt.
Wie läuft die Tour denn so?
Sehr gut. Wir
waren dieses Jahr viel auf Tour und es wird langsam Zeit wieder neue Songs zu
schreiben. Aber wir haben trotzdem noch Spaß. Es gab auf dieser Tour noch
nicht allzu viele technische Probleme und wenn doch haben wir sie gut bewältigt.
Wir sind jetzt mit kleinen Pausen seit März auf Tour und wenn man die selben
Songs jeden Abend immer wieder spielt wird man es irgendwann leid. In England
hatten wir diesen Punkt erreicht. Bei den letzten beiden Shows war es dann wieder
besser. Wir fühlten die Songs besser.
Wie sind die Reaktionen in Europa?
Sehr gut. Sie sind anders als in Nordamerika, aber gut.
Was ist anders?
Es scheint
so als ob das Publikum in Nordamerika zwischen den Songs lauter ist. Außerdem
kennen sie die Texte besser, was wahrscheinlich einfach an der Sprachbarriere
liegt. Aber wir lieben die Europäischen Kids sehr.
Die Organisation von Shows ist hier viel besser. Die Leute kümmern sich
hier sehr nett um die Bands, man bekommt zum Beispiel gutes Essen. In Amerika
bist du vollkommen auf dich allein gestellt. In Europa bekommt man viel mehr
das Gefühl willkommen zu sein.
Was kannst du zu eurem neuen Album sagen?
Es ist das erste Album auf das ich wirklich stolz bin. Das ist ein großer Schritt in meinem Leben, auf etwas das ich geschaffen habe stolz zu sein. Ich habe mich für die anderen Alben nicht geschämt, aber ich hatte auch nie das Gefühl wirklich etwas erreicht zu haben. Die alten Alben sind einfach da, während das neue mich mit einer Art Stolz erfüllt. Kein negativer Stolz wohlgemerkt. Wir sind zufrieden damit und müssen uns nicht fragen ob es gut oder schlecht ist. Das ist ein guter Ausgangspunkt und gibt uns viel Kraft und einen Antrieb das nächste Album noch besser zu machen.
Warum dauerte es denn so lange bis es erschien?
Als Todd in die Band kam mussten wir erst neu lernen eine Band zu sein. Es hat eine Weile gedauert sich auf den Stil des anderen einzustellen. Außerdem haben Jord und ich noch unser Label gegründet (G7) was viel Zeit in Anspruch genommen hat. Dann haben wir uns aber entschlossen wieder mehr Zeit der Band zu widmen und so ist dann das Album entstanden.
Wie hat sich eure Musik über die Jahre entwickelt?
Speziell in den letzten 4-5 Jahren als Todd in die Band kam hat sich viel getan. Er hat mich und Jord angetrieben unsere Instrumente besser zu beherrschen. Weil Todd ganz anders Gitarre spielt wie ich, musste ich die Art und Weise wie ich die Songs spielte umstellen. Wenn du dann einmal merkst, dass du dich auf die eine Art weiter entwickeln kannst, versuchst du dich auch noch auf eine andere Art zu entwickeln. Das hat mich dazu angespornt mehr und besser zu spielen. Als wir dann ins Studio gegangen sind, waren wir technisch viel bessere Musiker als beim letzten Album. Bevor Todd in die Band kam waren wir zufrieden damit einfach nur OK spielen zu können. Es gab keinen Grund für uns besser zu werden. Mit Todd wurde das anders. Jetzt hatten wir auf einmal zwei Songwriter und der eine versucht natürlich immer besser zu sein als der andere, weil man ja schließlich nicht als der Untalentierteste in der Band gelten will.
T: Wir haben vor den Aufnahmen ein paar tolle Gitarristen im Plattenladen gehört. Das hat uns angespornt besser zu werden und all die kleinen Dinge die wir falsch machten zu vermeiden. Wir sind beide sehr viel besser geworden.
Das ist genau
was ich meinte, er ist derjenige der das macht. Aber er ist der Bassist und
spielt besser Gitarre als ich. Das spornt mich dann natürlich auch wieder
an besser zu werden. Das ist wie ein Teufelskreis.
Wie wichtig sind euch denn die Texte?
Sie sind der wichtigste Bestandteil unserer Musik. Natürlich wollen wir, dass die Musik selber auch eine mitreißende Wirkung hat. Die Texte müssen aber etwas ausdrücken. Sie müssen so sein, dass wir auch stolz darauf sein können, dass wir sie uns auch noch in Jahren durchlesen können und sie uns nicht peinlich finden. Es ist unser Konzept den Leuten verschiedene Sichtweisen anzubieten. Dafür haben wir oft nur wenig Zeit, da unsere Songs ja recht kurz sind, da muss man schon vorsichtig sein, wie man seine Botschaft rüber bringt um auch verstanden zu werden. Das ist Superwichtig für uns. Wenn die Texte gut sind hat man eine leidenschaftlichere Verbindung zu den Songs. Wenn man sich nach neun Monaten auf Tour, in denen man jeden Abend diese Songs spielt, immer noch an den Grund warum man den Text geschrieben hat erinnert und er einem immer noch etwas bedeutet, ist das ein gutes Gefühl.
Was inspiriert euch bei den Texten?
Ich denke mal einfach der traurige Zustand des Planeten. Zu sehen wie die bestehende Ordnung Menschen behandelt und in verschiedene Schichten teilt basierend auf Wohlstand oder Hautfarbe. Festzustellen, dass die Werte der bestehenden Kapitalistischen Ordnung nicht übereinstimmt mit dem was wir denken was echte Werte sind. Wir versuchen in unseren Songs verschiedene Geschichten zu erzählen entweder wie schlecht etwas ist oder wie inspirierend die Aktionen anderer sind und wie diese Menschen tatsächlich etwas verändert haben. Diese Geschichten mit anderen Menschen zu teilen zeigt ihnen vielleicht, dass es nicht zwangsläufig überall so sein muss wie es ist. Es nicht unvermeidlich ist, dass sich Menschen gegenseitig wie Scheiße behandeln. Es gibt viele Beispiele für Menschen die andere nicht wie Scheiße behandeln. Es gibt auch viele Beispiele für Menschen die selbst nachdenken und nicht CNN das denken für sie übernehmen lassen. Durch die Verbreitung dieser Gedanken kommen vielleicht ein paar Leute darauf etwas zu verändern.
All eure Texte haben ernste Themen, aber ihr lasst auch immer Sarkasmus und Humor mit einfließen. Warum?
Das ist einfach
wie es aus uns heraus kommt. Humor ist wahrscheinlich das einzige was uns am
Leben hält. Wenn wir nicht mehr über uns und andere Lachen könnten,
würden wir wahrscheinlich unsere eigene Scheiße essen bis wir tot
sind. ....oder deine Scheiße, das wäre ein harter Tod. (Anm. d. Verf.:
Ich hatte an diesem Tag bösen Durchfall.). Humor ist ein essentieller Bestandteil
der Menschlichen Natur. Wir finden uns witzig, aber wir glauben nicht, dass
uns andere Leute auch witzig finden.
Na ja, ich find euch schon witzig.
Was haltet ihr von der heutigen Musikszene, und speziell der Punk-Szene?
Die Punk-Szene
ist nicht mehr die selbe. Was heute unter Punk verstanden wird ist nicht mehr
das selbe, mit dem wir in den 80ern aufgewachsen sind.
Damals war Punk fast ausschließlich politisch, aktiv und nachdenklich.
Es ging weniger um Geld oder ein Image oder darum Schuhe und Hosen zu verkaufen.
Während heute es so scheint als ob Punk nur noch Popmusik ist. Die großen
Labels nehmen aus dem Punk die Bedrohung, die Gefahr heraus, heuern Videoproduzenten
an die das ganze süß aussehen lassen und verkaufen es. Das bedeutet
nichts mehr, es hat keine Substanz mehr. Es fordert die bestehende kapitalistische
Ordnung nicht mehr heraus, im Gegenteil, es unterstützt sie. Das ist ein
Haufen Scheiße. Es gibt aber immer noch eine Undergroundszene mit vielen
Bands die viel Nachdenken und politisch sind. Nicht nur im Punk, es gibt auch
in anderen Szenen viele Bands die gehört werden sollten. Ich finde die
Underground Bands sind einfach viel interessanter als der Scheiß auf MTV.
Denn die zeigen ausschließlich Müll.
Eure Homepage beginnt mit: "Knowledge is Power - Arm Yourself". Seht ihr das Problem der Verdummung der Menschheit durch die Medien?
Ja. Ich glaube aber nicht, dass da eine große Verschwörung dahinter steckt. Es ist einfach die Realität. Viele der großen Medienanstalten haben ein Interesse daran über bestimmte Themen nicht zu berichten. Wenn man sich die Eigentumsverhältnisse anschaut wird das auch klar. Zum Beispiel werden ABC nie über Streiks in Disneyland berichten. Denn ABC ist im Besitz von Disney. Oder die Medien die zu GE oder Westinghouse gehören werden niemals Atomkraft kritisieren, weil GE großes Interesse an Atomkraft hat. Es ist dem System anhaftend, dass bestimmten Themen ausgewichen wird und Meinungen ignoriert werden. Die Menschen bekommen deshalb keine wertvollen Informationen, sondern nur solche die von den Medien gebilligt werden. Die Bevölkerung bekommt einfach nicht die ganze Wahrheit. Die Leute müssen deshalb nach alternativen Medien suchen um überhaupt erst herauszufinden, dass es auch andere Sichtweisen gibt, dass es tatsächlich auch Leute gibt die gegen Krieg oder Atomkraft sind. Die großen Medien berichten nicht darüber. Oder sie zeigen es für eine Sekunde und machen sich darüber lustig, dann zeigen sie einen Werbespot für Atomkraft. Es herrscht ein Ungleichgewicht in der Informationswelt. Die Leute die reich sind und über Informationen verfügen werden immer nur das zeigen was ihnen nicht schadet. Ich denke die ganze Medienwelt muss umstrukturiert werden. Sie muss demokratisiert werden.
Denkst das Internet ist eher eine Gefahr oder eine Chance?
Ich denke es ist eine Chance. Im Internet gibt es keine Beschränkungen für Informationen und Menschen. Es gibt noch keine Monopolbildung und keine Privatisierung wie beim Radio oder Fernsehen. Es gibt großartige Websites auf die jeder zugreifen kann. Die haben natürlich nicht den gleichen Stellenwert wie CNN.com. Ich persönlich finde ZNet (www.lbbs.org) sehr gut. Das ist wahrscheinlich die beste Quelle für progressiven und aktiven Journalismus im Netz. So lange die Leute frei auf das Internet zugreifen können und nicht durch private Beteiligungen ein Monopol aufgekauft wird ist es auf jeden Fall eine Chance. Im Fernsehen bekommt man solche Berichte nicht zu sehen, und alternative Zeitungen können nicht so viele Menschen erreichen wie das Internet.
Was kannst du zu eurem eigenen Label G7 sagen?
Es ist ein kollektiv organisiertes Label. Es ist deshalb kollektiv Organisiert ist, weil wir nicht die typischen kapitalistischen Arbeitsbedingungen reproduzieren wollten. Wir wollten einen demokratischen Arbeitsplatz schaffen, was total antikapitalistisch ist. Wir wollten einen Platz für politische Musiker und Künstler schaffen und ihnen eine Stimme geben, die ähnliche Beweggründe hat wie die Künstler selbst. Wir veröffentlichen verschiedene Musikstile, nicht nur Punk, und ein paar Spoken-Word Sachen. Wir versuchen es so vielfältig wie möglich zu gestalten und wollen in Zukunft auch andere Dinge, nicht nur CDs, veröffentlichen.
Was kannst du zu den Vorkommnissen in New York City und den Krieg in Afghanistan sagen?
Die Angriffe auf New York City waren schrecklich und unmenschlich. Ich glaube aber das Problem im Moment ist, dass die Leute in Nordamerika nicht versuchen die Anschläge in einem realistischen Zusammenhang zu verstehen. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt die Flaggen zu schwenken und an Vergeltung zu denken. Die Menschen in Amerika müssen verstehen, dass das was in NYC passiert ist, genau das selbe ist, was seit Jahren in anderen Ländern mit anderen Menschen passiert, nur mit US-Geldern im Hintergrund. Wenn die Menschen die Geschichte sehen würden und verstehen würden wie diese Menschen so weit getrieben werden konnten etwas so furchtbares zu tun wie Flugzeuge in Hochhäuser voller Menschen zu fliegen, dann würden sie vielleicht ihre eigene Regierung dazu bringen ihre Außenpolitik zu ändern. Um sicher zu stellen, dass nicht mehr Leute in der ganzen Welt wie Scheiße behandelt werden und deshalb auch nicht mehr so sauer auf die USA werden. Dann gäbe es keinen Grund mehr für sie zu versuchen Ungerechtigkeit mit Terrorismus zu bekämpfen oder fundamentalistische Extremisten wie Osama bin Laden zu unterstützen. Ich denke es ist sehr wichtig, dass die Menschen die eine progressive Meinung zu diesem Thema haben und auch über die geschichtlichen Ereignisse und amerikanische Außenpolitik bescheid wissen, ihre Ansichten mit anderen Menschen teilen. Andernfalls werden wir wieder in eine Golfkrieg oder Vietnam Ära voll mit blindem Patriotismus und Dummheit erleben. Das brauchen wir wirklich nicht mehr. Dieses Mal könnte es die letzte Chance sein die wir als Planet noch haben.
Wie sehen eure Zukunftspläne aus?
Mehr Platten,
bessere Platten herausbringen und noch besser unsere Ideale und Meinungen verbreiten.
And just thrashing. We´re a never ending thrash machine.
Die nächste Platte wird übrigens nicht erst in ein paar Jahren erscheinen.
Es wird ne Weile dauern, aber nicht mehr so lange wie beim letzten mal.
Hast du zum Abschluss noch eine witzige Tourgeschichte auf Lager?
Heute wurden wir in Bayern von der Polizei angehalten. Obwohl wir eigentlich vereinbart hatten kein Gras mit in den Van zu nehmen, hatten unsere Potköpfe welches dabei. Die Polizei hat es gefunden. Ich fand das witzig. Ich war aber auch schockiert drüber wie wenig Rechte man hier als Bürger gegen die Polizei hat. Trotzdem war es witzig Jords Gesicht zu sehen als sie ihn in das Polizeiauto gesteckt haben.
Das Interview wurde von Rolf Gehring geführt.
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Download: Back To The Motor League, MP3
Download: Die Jugend Marschiert, MP3
Review: Potemkin City Limits, 2005 (rg)
Review: Supporting Caste, 2009 (rg)