Im Rahmen ihrer Tour zum aktuellen Album " The Misery Index; Notes From The Plague Years " traf ich Sänger Nathan vor ihrer Show in Wil. Er und Chad vertrieben sich im Bus die Zeit zum Auftritt. Nathan war wie fast immer sehr gut gelaunt und hatte sichtlich Spaß daran Fragen zum neuen Album zu beantworten. Wann immer er von den neuen Songs sprach flammte in seinen Augen ein Feuer auf.
Wie läuft denn die Tour bisher?
Sie läuft sehr gut. Ich weiß gar nicht was ich da sagen soll. Touren bedeutet den ganzen Tag irgendwo hinfahren, man hängt rum, macht Soundcheck, isst etwas und spielt eine Show. Danach besäuft man sich entweder oder geht direkt ins Bett. Am nächsten Morgen wacht man auf und es beginnt wieder von vorne. Aber die Shows sind sehr gut und wir haben Spaß. Die Zeiten dazwischen sind jedoch immer eher langweilig. Chad ist so gelangweilt, dass er Pornoheftchen liest. Die Betonung liegt dabei auf "lesen".
Ich dachte mir, dass diese Tour vielleicht wieder etwas aufregender für euch ist, da ihr seit langem wieder ein neues Album dabei habt.
Die Shows auf jeden Fall. Die sind schon immer spannend. Aber wie gesagt die Zeit zwischen den Shows laugt einen ziemlich aus.
Ihr hattet in der jüngeren Vergangenheit viele Schwierigkeiten durchzumachen. Was genau ist passiert?
Wir waren ja bei Wind-Up Records unter Vertrag und es hat einfach nicht mehr gestimmt zwischen den beiden Parteien. Wir passten nicht zu ihnen und sie nicht zu uns. Die sind ein Label das Bands wie Creed und Evenescense unter Vertrag hat. Sie wissen wie man mit Radio und MTV umgeht. Wenn du einen Hit hast, dann wissen diese Leute genau was mit dir anzustellen ist. Hast du keinen, wissen sie das nicht so recht. Es war keine sehr glückliche Konstellation. Nach ein paar Streits hier und da waren sie am Ende so großzügig uns gehen zu lassen. Das war im Grunde alles. Wir brauchten einfach unsere Freiheit.
Als wir uns das letzte Mal unterhalten haben, warst du noch sehr euphorisch im Bezug auf das Label.
Ja, so ist das wohl wenn man bei einem neuen Label einen Deal unterschreibt. Man hat da gewisse Vorstellungen und dir werden viele Dinge erzählt die nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen wie sich später heraus stellt. Sowas passiert.
Was waren denn konkret die Probleme? Wollten sie euch in die Songs reinreden?
Ja, das haben sie getan. Sie wollten uns einen Sound aufzwängen von dem wir nicht einmal wussten wie es klingen sollte. Sie wollten uns definitiv in eine bestimmte Richtung drängen, wir haben aber wohl einfach nicht kapiert in welche. Im Endeffekt bin ich aber froh darüber, dass wir es nicht geschafft haben sie zufrieden zu stellen. Irgendwann wollten sie Songwriter für uns einkaufen. Damit war das Maß dann aber voll. Das funktioniert für uns nicht.
Wenn du auf das letzte Album zurückblickst, bist du noch zufrieden?
Ja, im Grunde schon. Ich bin unzufrieden mit dem Mix. Ich meine übrigens den Mix, nicht die Produktion. Das ist ein Unterschied über den mich mein Freund Chad da drüben neulich aufgeklärt hat. Ich dachte immer das sei dasselbe (Anm. d. Verf: Er sagt dies in einem sehr sarkastischen Unterton). Wenn ich mir das Album heute anhöre gibt es definitiv ein paar Sachen von denen ich wünschte wir hätten sie nie so gemacht. Aber warum sollte ich mich jetzt noch daran stören. Wir haben gerade ein neues Album veröffentlicht mit dem wir alle zu 100% zufrieden sind. Auf der anderen Seite bin ich aber auch der Meinung, dass auf "Tomorrow Come Today" einige unserer besten Songs überhaupt zu finden sind. Auch die Fans scheinen die Platte zu mögen, irgendwas haben wir wohl doch richtig gemacht. Im Moment konzentriere ich mich aber auf das neue Album.
Na dann lass uns doch mal über das neue Album reden. Im Vorfeld waren sehr viel Gerüchte im Umlauf, dass es wieder härter werden sollte und mehr nach "After The Eulogy" klingen sollte und so weiter.
Ja das ist richtig. Viele Leute haben alles Mögliche über diese Platte gesagt und tun dies noch immer. Ich habe mich gerade heute über diese Sache mit Chad und Robert unterhalten. Die Leute denken so viele unterschiedliche Dinge über uns, dass es wirklich unglaublich ist. Ich bin mir sicher, dass es kein Problem wäre fünf Leute zu finden die alle solch unterschiedliche Vorstellungen von uns haben, dass es fast schon keinen Sinn mehr ergeben würde. Kennst du diese Parabel mit dem Elefant und den Blinden, die an verschiedenen Stellen des Elefanten stehen und alle unterschiedliche Vorstellungen von ihm haben. Ich bekomm die ganze Geschichte nicht mehr zusammen.mist. Warum habe ich überhaupt damit angefangen? Ist auch egal. Die eine Person wird sagen das neue Album sei totaler Radio-Rock und jemand anders hält es für nicht Radio-tauglich genug. Für die einen ist es zu hart für die anderen zu soft, zu dies oder zu das. Die Aussagen der Leute widersprechen sich oft total. Das gibt uns das Gefühl etwas richtig gemacht zu haben. Die Leute verstehen es nicht. Ich finde es großartig eine Platte zu machen von der die Leute solch unterschiedliche Meinungen haben.
Auf dem neuen Album befinden sich einige sehr untypische Sachen, wie beispielsweise die Bläser. Wie ist das zustande gekommen?
Das sind einfach wir. Wir haben unserer Kreativität wieder freien Lauf gelassen. In der Vergangenheit war es oft so, dass wir uns selbst eingeschränkt haben. Dieses Mal wollten wir möglichst viel ausprobieren. Wenn eine Idee eigentlich zu verrückt war um zu sie anzupacken haben wir es trotzdem oder genau deshalb doch getan.
Das war wohl eine völlig andere Herangehensweise als an "Tomorrow Come Today".
Ja, definitiv. Es war eine andere Herangehensweise als bei den meisten unserer Platten. Wir haben uns immer selbst beschränkt und uns gesagt, dass wir bestimmte Dinge einfach nicht bringen können. Darum kümmern wir uns jetzt aber nicht mehr. Wir sind jetzt älter und tun nur noch was wir wollen. Keine Beschränkungen mehr.
Habt ihr die Songs die ihr noch für Wind-Up geschrieben habt eigentlich behalten oder habt ihr das Material komplett verworfen.
Wir haben die Songs im Prinzip behalten aber noch vieles daran verändert.
Wie sind die Reaktionen auf das neue Album bisher?
Bis jetzt eigentlich sehr gut. Sogar die schlechten Kritiken sind cool. Meine Lieblingskritik die wir öfter bekommen ist: "Das ist viel zu verrückt". Das finde ich seltsam. Das klingt irgendwie als ob eine alte Oma die Kritik geschrieben hat. "Mach diese verrückte Musik aus". Das finde ich amüsant. Jemand anders hat geschrieben wir würden uninspirierten 80er Rock machen. Das hat mich etwas verwirrt. Meistens kann ich die guten und schlechten Kritiken irgendwie nachvollziehen. Wenn sie nur gesagt hätten wir sind uninspiriert, hätte ich dafür ebenfalls Verständnis aufbringen können. Jedem seine Meinung. Aber 80er Rock? Da stimmt doch was nicht.
Wie geht ihr mit dem Erwartungsdruck von außen um?
Sehr einfach. Überhaupt nicht. Nun gut, manchmal erwische ich mich dabei Diskussionen anzufangen aber irgendwann sag ich mir einfach: "Vergiss es, du bist alt genug um drüber zu stehen". Es gibt keinen Druck.
Wie kam die Entscheidung wieder zurück zu den Indies Burning Heart und Equal Vision zu gehen zustande?
Es ist einfach so passiert. Beide Labels waren von allen Interessierten die vielversprechendsten für uns. Es schien so als ob sie unsere künstlerischen Visionen und unsere Ziele mit dem Album am besten unterstützen könnten. Bisher sind wir zufrieden.
War es für euch wichtig, dass es wieder Indies sind?
Ich denke schon. Es war jetzt nicht allzu wichtig aber es war auch nicht unwichtig. Es wäre egal gewesen ob Indie oder Major. Wichtig war nur, dass uns das Label uns dieses Mal wirklich unterstützt und nicht die Hände bindet.
Wie fühlt es sich an diese recht alten Songs endlich veröffentlicht zu haben?
Sehr gut. Chad hat jetzt wieder weniger Haare. Er hatte beschlossen sich nicht mehr zu rasieren bis das Album erscheint. Wir waren schon an dem Punkt an dem wir dachten die Platte würde nie erscheinen. Jetzt ist sie zwar draußen aber wir warten irgendwie noch immer darauf, dass etwas schief geht. Mal schauen was passiert.
Hatte diese lange Pause auch etwas Gutes?
Nein, rein gar nichts. Es war beschissen. Mal davon abgesehen, dass wir ein paar Songs geschrieben haben die wir mochten.
Du magst es also unterwegs zu sein?
Ja, ich mag es auf Tour zu sein, Musik zu machen und mit meinen Freunden Spaß zu haben. Ich hasse es andauernd in einem Streit zu stecken und sich gegenseitig anzuschreien. Ich hasse es nicht zu wissen wie sich die Dinge entwickeln werden, sauer zu sein, sich aufzulösen und wieder zusammen zu raufen. Alles ist viel besser.
Stand es jemals zur Debatte ob ihr überhaupt weiter macht?
Ja, sogar mehrmals. Die ganze Anspannung und die Probleme haben einige von uns fast zur Verzweiflung getrieben.
Warum habt ihr "Still Waiting For The Punchline" neu aufgenommen?
Einfach weil wir die Version mochten. Wir haben sie ein paar Mal live gespielt, weil wir es ausprobieren wollten. Schließlich haben wir uns in diese Version verliebt und beschlossen sie mit auf die Platte zu packen. Tut mir Leid dass die Story nicht besser ist.
Lass uns etwas über die Texte reden. Sie scheinen nicht mehr ganz so direkt zu sein als früher. Du umschreibst die Dinge heute eher. Würdest du mir da zustimmen?
Ja, ich denke da hast du Recht. Das hat viel damit zu tun, dass ich mich dafür geöffnet habe die anderen in der Band an den Texten teilhaben zu lassen. Bis "Tomorrow Come Today" habe ich die meisten Texte geschrieben. Dieses Mal haben Chad, Josh und ich oder nur Chad und ich und manchmal auch noch Robert viel zusammen gesessen und über Texte nachgedacht. Es war eine sehr coole persönliche Erfahrung. Die Texte haben so ein etwas anderes Feeling und eine andere Perspektive. Wir haben das Thema eines Songs festgelegt und jeder hat dann seine Ideen von verschiedenen Blickwinkeln eingebracht. Dadurch wurde etwas Neues kreiert.
Habt ihr das nie zuvor getan?
Doch, allerdings nie so intensiv wie bei dieser Platte.
Warum wolltet ihr es dieses Mal auf diese Art machen?
Hauptsächlich aufgrund der Schreibblockade die ich hatte. Wenn man solch eine lange Zeit in einer Band spielt gehen einem ab und zu die Ideen aus. Darüber hinaus war es aber auch daher bedingt, dass jeder in der Band mehr an den Texten teilhaben wollte. Genauso wie wir alle an der Musik arbeiten sollten alle an den Texten arbeiten und so bestimmen was Boy Sets Fire als Ganzes ist. Daraus sind coole Texte entstanden.
Worum geht es beispielsweise in Empire?
Es geht dabei um jegliche Art großer, unterdrückender Systeme die anderen ihre Ideale aufzwingen. In unserer persönlichen Interpretation ist damit natürlich die US-Regierung gemeint. Dieser Song ist der einzige auf dem Album der sich gegen die US-Regierung richtet. Von allen Songs ist dieser wahrscheinlich der direkteste der sich mit George Bush und seinem Kabinett beschäftigt. Wir wollten aber auch nicht zu sehr auf diesem Thema herum reiten, das wäre einfach langweilig gewesen. Jeder hat es gehört, niemand kann Bush leiden, alles ist gut. Es bringt nichts noch mehr Songs in dieser Richtung zu schrieben. Eigentlich geht es in dem Song auch eher um eigentliches Problem hinter der Person. Egal ob Bush, Clinton oder sonst wer Präsident ist, es wird immer dieses Gefühl eines Imperiums geben. Die USA werden immer die Nummer eins sein wollen und ihre Ideale und ihr Rechtsempfinden anderen Ländern aufzwingen wollen. Die USA wollen immer diese Weltpolizei und die vorherrschende Macht in der Welt sein.
Wovon handelt "Deja Coup"?
Ahh.der Song von dem die Leute behaupten es sei ein Ska Song, aber es keiner ist. Man, warum bezeichnet jeder einen Song mit Bläsern gleich als Ska. Dabei geht es um die unheilige Allianz der Kirche und der konservativen Rechten. Ich weiß nicht wie es in Europa ist, aber in den USA ist das eine wirklich sehr bedenkliche Angelegenheit die in meinen Augen überhaupt keinen Sinn ergibt. Die Kirche ist in den USA ist so etwas wie die der Verteidiger für die konservative Rechte geworden. Sie liefern Rechtfertigungen für Kriege oder dafür die Armen sich selbst zu überlassen. Dinge welche die Kirche eigentlich nie Rechtfertigen wollte sondern gegen die sie im Grunde kämpfen wollte. In dem Song gehe ich das Thema auf eine recht sarkastische Weise an. Der Song selbst hat darum auch eine eher fröhliche Stimmung.
Was bedeutet der Titel der Platte für die Band?
Der Titel steht für all die Scheiße durch die wir mussten. Er steht aber im Grunde für alles was in den letzen drei Jahren passiert ist. Man kann den Titel dafür benutzen was in der Weltpolitik passiert ist, für unsere persönlichen Angelegenheiten oder für die Musikindustrie. Er passt immer.
Was war die wichtige Lektion die du in den letzten drei Jahren gelernt hast?
Niemandem zu vertrauen. Man kann nur sich selbst und seiner eigenen Meinung trauen. Vertraue nicht darauf was andere dir sagen, es ist nur Scheiße.
Das ist eine sehr negative Einstellung.
Nicht wenn man sie auf positive Weise lebt. Es hat weniger etwas damit zu tun negativ zu sein, sonder viel mehr etwas mit Selbstvertrauen. Es geht darum Vertrauen in die eigenen Ideen zu setzen und sich den für sich besten Weg zu suchen die Dinge zu bewältigen. Man darf sich nicht von anderen etwas einreden lassen von dem man selbst besser weiß dass es nicht das richtige ist. Dabei würde am Ende nichts Gutes heraus kommen. Für uns hat das sehr gut funktioniert.
Wie sehen eure Zukunftspläne aus?
Wir lassen das auf uns zukommen. Vor allem werden wir jetzt erstmal lange auf Tour sein.
Das Interview wurde von Rolf Gehring geführt.
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