Mein letztes Gespräch mit Matt Fox fand vor über neun Jahren statt. Damals stand die Band gerade vor ihrer Auflösung. In der Zwischenzeit haben wir beide graue Haare bekommen, die Band hat zwei neue Alben veröffentlicht und zahlreiche Mitglieder gewechselt. Auf ihrer Tour mit Propagandhi traf ich Matt auf ihrem Stopp in Zürich, wo wir uns in den Tourbus zurückzogen, um die Vergangenheit und Gegenwart der Band im Detail aufzuarbeiten.
Hi Matt. Als wir uns das letzte Mal unterhalten haben, das ist immerhin neun Jahre her, hattest du vor, Shai Hulud aufzulösen und unter einem anderen Namen weiter zu machen. Geert hatte gerade beschlossen, die Band zu verlassen und du wolltest den Fans nicht noch einen neuen Sänger zumuten. Seitdem habt ihr zwei neue Alben herausgebracht. Was ist passiert?
Ja, damals hatten wir einige innere Konflikte. Nicht so sehr zwischen den Bandmitgliedern, aber jeder für sich persönlich. Die Band bestand damals im Grunde nur noch aus mir und Fletcher. Ich hatte mich gefragt ob wir zu einer Lachnummer werden wenn wir mit einem weiteren neuen Sänger antreten. Freunde und Bekannte haben mir recht eindringlich klar gemacht, dass es wohl das Beste wäre, unter einem anderen Namen weiter zu machen. Wir haben uns stark genug gefühlt, das durchzuziehen. Also haben wir uns so entschieden und es auch öffentlich angekündigt. Obwohl der Geist von Shai Hulud weiter existiert hätte, wollten wir den Namen ablegen. Für die Zeit nach der Ankündigung hatten wir aber noch Touren geplant, die wir spielen wollten und bei denen Geert auch noch dabei war. Es waren also noch all diese Dinge zu tun und wir hatten uns zwar vorgenommen, den Namen abzulegen, aber das Ende lag noch weit in der Zukunft. Irgendwann kam es dann wirklich und wir waren an dem Punkt angelangt, wo neu gestartet werden sollte. Da war es dann aber deutlich schwieriger, noch zu der Entscheidung zu stehen. Wir hatten bereits neue Songs und ein Demo aufgenommen, das wir an Metal Blade geschickt hatten. Die wollten uns unter Vertrag nehmen und es wäre ihnen egal gewesen, ob als Shai Hulud oder unter einem anderen Namen. Uns waren also alle Möglichkeiten offen. Niemand setzte uns unter Druck. Wir wollten einfach das machen was richtig war. Wir zeigten die Aufnahmen unseren Freunden und die Antwort war immer dieselbe: „Ich weiß nicht was du mir vormachen willst, aber das klingt verdammt nach Shai Hulud.“. Das war wohl auch der Hauptgrund warum wir beschlossen haben den Namen zu behalten. Das und die Tatsache, dass wir unter dem Namen schon so lange unterwegs waren. Unsere neue Band wäre immer die Band gewesen, die wie Shai Hulud klingt. Darum haben wir beschlossen den Namen zu behalten.
Es war übrigens nie eine Option, die Band ganz aufzulösen. Ich würde lügen wenn ich dir erzählen würde, dass es mir noch nie in den Sinn gekommen ist einfach aufzuhören. Es ist so schwierig, diese Band am Leben zu erhalten. Die Musikindustrie ist im Moment in einer nicht ganz einfachen Lage. Die Leute kommen nicht mehr so zahlreich zu den Shows, Plattenverkäufe spielen kaum noch eine Rolle und es gibt einfach so verdammt viele Bands. All diese Dinge machen es kleinen Bands wirklich schwer, zu überleben. Das ist eigentlich genug, um dich zu brechen und das Handtuch zu werfen. Aber der Grund warum ich denke, dass wir nie aufhören werden ist, und da bin ich ein bisschen stolz drauf, weil Shai Hulud immer eine ehrliche Sache war und immer sein wird. Wenn es uns nur geben würde damit wir Geld verdienen können, hätten wir die Band schon vor 15 Jahren aufgelöst. Manchmal denke ich darüber nach, die Band aufzulösen und wieder zur Schule zu gehen, um am Theater zu arbeiten oder Psychologie zu studieren. Im Endeffekt ist Shai Hulud aber eine Erweiterung der Persönlichkeiten in der Band. Diese Erweiterung wird sich immer auf irgendeine Weise manifestieren. Darum wird es Shai Hulud immer geben. Die Band existiert, weil etwas in uns steckt, das heraus will. Der Aspekt des Geldes stand nie im Vordergrund.
Ich nehme an, du lebst also nicht von der Musik?
Na ja, auf Tour verdienen wir etwas Geld. Die anderen in der Band haben nebenher andere Jobs, auch in Studios. Ich halte mich nebenbei mit Geschäften auf EBay über Wasser. Meine persönlichen Ausgaben sind sehr niedrig. Da ich seit so vielen Jahren auf Tour bin, habe ich mein Leben so gestaltet, dass ich tatsächlich von Shai Hulud leben kann. Würde ich ein normales Leben wie jeder andere in meinem Alter führen, würde das allerdings nicht funktionieren. Ich habe nur ein kleines Zimmer gemietet. Ich lebe nicht wie der durchschnittliche Vierzigjährige. Dieser Lifestyle ist notwendig, damit ich weiterhin das tun kann, was ich will. Würde ich den Lifestyle haben, den ich gern hätte, mit einem kleinen Apartment, Katze und Hunden und so weiter, könnte ich das mit Shai Hulud allein nicht bezahlen. Ich habe im Grunde alles aufgegeben, damit Shai Hulud existieren kann. Daher diktiert die Band, solange ich noch ein Teil davon sein möchte, mein Leben. Macht das Sinn?
Ja, absolut. Ich hätte, um ehrlich zu sein, nicht erwartet, dass du von der Band lebst. Schließlich bringt ihr für eine professionelle Band eher selten Platten raus und tourt auch weniger als andere.
Ja, stimmt, wir veröffentlichen nur ca. alle fünf Jahre ein Album. Aber das ist genau das, was ich vorhin gemeint habe. Ich glaube, jeder der uns kennt, egal wie wenige das sind, weiß, dass wenn wir ein Album veröffentlichen, es ein ehrliches ist. Das ist bei Bands wie Propagandhi sicher ähnlich. Die Die-Hard Fans wissen, dass sie unser ganzes Herzblut in dem Album bekommen. Das ist kein Bullshit. Die Jungs brauchen fünf Jahre, um etwas zu veröffentlichen, dann muss es real sein. Darauf bin ich stolz. Nebenbei gesagt hoffe ich übrigens, dass unser nächstes Album etwas früher erscheinen wird. Das aktuelle Album wurde letztes Jahr fertiggestellt. Ich habe im Moment, um ehrlich zu sein, nicht besonders viele neue Ideen. Wenn das so weiter geht, wird es wohl wieder vier Jahre dauern. Aber das hoffe ich nicht. Was wir aber nie gemacht haben und auch nie tun werden, ist, auf die Schnelle ein Album heraus zu rotzen, damit wir mehr Geld verdienen können. Das kam mir nicht mal in den Sinn. Mir ist es lieber, dass ich mit 95 auf meinem Totenbett auf meine Karriere, bzw. Nicht-Karriere, zurück blicken kann und zu jedem Album „Fuck, yeah, da habe ich mein Bestes gegeben“ sagen kann, als zu sagen: „Mit dieser Platte habe ich viel Geld verdient“.
Du hast gesagt, dass Shai Hulud immer eine Manifestierung seiner Mitglieder ist. Allerdings befindet sich das Lineup der Band seit jeher im Umbruch. Trotzdem schafft ihr es immer wieder, die Band konsistent klingen zu lassen.
Viele Bands haben eine Person, die im kreativen Prozess eine besondere Rolle einnimmt. Bei uns ist das auf jeden Fall so. Am Anfang der Bandgeschichte habe ausschließlich ich die gesamte Musik zu den Songs geschrieben. Als Matt Fletcher dann zu uns kam, war er bereits seit einiger Zeit Fan der Band. Er kannte die EP und das erste Album. Damals haben wir nach einem Gitarristen gesucht und in ihm gefunden. Er hat mir mehrmals gesagt, dass er keine eigene Band starten oder bei einer anderen einsteigen wollte. Er wollte Songs spezifisch für Shai Hulud schreiben. Als er 1999 zu uns kam, war er schon auf das Wesen von Shai Hulud eingestellt und hat im Grunde ein weiteres Stück Shai Hulud mit eingebracht. Der Input kam dann nicht mehr von mir, war aber dennoch eindeutig Shai Hulud. Er hat sich auf die Art, wie die Band klingt, eingestellt und angefangen, selbst Songs in diesem Stil zu schreiben. Nach all der Zeit sind unsere beiden Einflüsse quasi zu einem geworden. Daher klingt die Band trotz all der Veränderungen in der Zusammensetzung konsistent. Ich denke übrigens nicht, dass alle Songs gleich klingen. Aber ich habe schon oft gehört, dass die Leute sagen, dass egal wer singt, ein neuer Song von uns immer nach Shai Hulud klingt. Das ist ein Kompliment für mich und inzwischen kann ich es sogar glauben. Natürlich achten wir aber auch bei der Suche nach einem neuen Sänger darauf, dass er denselben Stil hat. Ich denke, es ist das Ziel jeder Band, ihren eigenen Sound zu kreieren, egal wer in der Band spielt.
Das neue Album klingt wieder stärker nach den ursprünglichen Shai Hulud. Sein Vorgänger „Misanthrophy Pure“ war ja doch ein etwas größerer Sprung.
Das habe ich schon oft gehört, dass jemand sagt, „Misanthrophy Pure“ sei ein Außenseiter. Du hast Recht, das ist es auch in gewisser Weise. „Misanthrophy Pure“ ist vor allem im Sinne der Produktion ein Außenseiter. Die ist äußerst clean. Matt Fletcher nennt sie gern steril. Das sehe ich nicht so, kann aber verstehen, warum er das so sieht. Es ist eine sehr klare, moderne und metallische Produktion ohne jegliches organisches Feeling. Sie sorgt dafür, dass die Songs ganz anders wirken als sie es eigentlich sollten. Ein anderer Grund warum die Platte so klingt ist der, dass wir so viel Zeit hatten wie selten zuvor. Der Produzent und ich haben im Studio damit begonnen, die Songs zu verbessern. Wir hatten sie zuvor geschrieben und haben dann im Studio immer weiter daran herum gebastelt. Wir haben einzelne Teile genommen und versucht sie cleverer, komplexer, schwieriger, schneller, wütender oder technischer zu machen. Das haben wir im Grunde mit jedem Part in jedem Song gemacht. Matt Fletcher war zu dieser Zeit nicht mehr im Studio und er mochte die Songs so, wie wir sie ursprünglich geschrieben hatten. Als dann das Album fertig war, war das etwas ganz anderes als das, was er zurückgelassen hatte. Er hat es darum sehr klar gemacht, dass er beim neuen Album nicht mehr alles überarbeitet und verbessert haben wollte. Daher ist „Reach Beyond The Sun“ im Vergleich deutlich zahmer ausgefallen. Er war der Meinung, dass unser Stil originell genug ist und einfach uns darstellt. Man muss nicht verkrampft versuchen, etwas noch mehr zu verbessern. Er war ein bisschen sauer. Er hat damals gesagt, dass er die Emotion in den Songs vermisst. Das ist zum großen Teil meine Schuld. Wenn ich die Gelegenheit bekomme, etwas besser zu machen, dann mach ich sofort mit. Das Ergebnis von „Misanthrophy Pure“ ist aber auch, dass wir das neue Album mit einem Verständnis dafür angegangen sind, dass in unseren Songs viel natürliche Emotionalität liegt, die wir auf keinen Fall durch zu viel Nachdenken gefährden wollen. Emotionalität war immer eines unserer Hauptziele. Keiner von uns ist so ein toller Musiker, dass wir die Leute mit wundervollen Gitarrensoli umhauen. Das war auch nie unser Ziel. Mein Ziel war es immer, die Leute zu bewegen. Wenn man die Kids in der ersten Reihe sieht, wie sie fast mit Tränen in den Augen unsere Texte schreien als ob ihr Leben davon abhängt, bin ich immer sehr dankbar. Das ist es was wir wollen. Musikalisches Können, technische Finesse und Virtuosität waren nie unser primäres Ziel. „Reach Beyond The Sun“ konzentriert sich wieder mehr auf die Emotionen und darüber bin ich sehr froh. Ich glaube nicht, dass wir diesen Fehler nochmal machen.
Denkst du, „Misanthrophy Pure“ war ein Fehler?
Nein, ich denke nicht, dass es Fehler war. Ich liebe das Album nach wie vor und auf der Platte sind Parts, die mich immer noch umhauen. Aber ich denke auch, dass die Platte nicht die emotionale Tiefe hat, die ein Shai Hulud Album haben sollte. Es ist sehr hart, wütend und angepisst. Es taucht immer wieder in etwas sehr Spezielles ab. Dennoch ist es nicht das, was wir eigentlich erreichen wollten. Allerdings muss gesagt sein, dass es unser Ziel beim Schreiben der Songs war, die Platte zur härtesten und gemeinsten jemals zu machen. In dieser Hinsicht haben wir unser Ziel erreicht. Das war übrigens auch das erste Mal, dass wir uns überhaupt ein Ziel gesetzt haben. Durch das ganze Verbessern im Studio haben wir der Platte viel von ihrer Emotionalität geraubt. Im Endeffekt würde ich also nicht sagen, dass die Platte insgesamt ein Fehler war, es gab aber auf jeden Fall ein paar Fehler.
Hattet ihr euch beim neuen Album wieder ein Ziel gesetzt?
Ja, unser Ziel war es, den Emotion freien Lauf zu lassen. Das ist nicht immer einfach für mich. Ich bin zwar ein offener, kommunikativer und emotionaler Mensch, sobald es aber um die Musik geht, werde ich zum Perfektionisten. Das erste was ich denke wenn ich etwas geschrieben habe ist, dass es nicht gut genug ist. Ich muss es besser machen. Es gibt Leute da draußen, die etwas Großartiges von mir erwarten. Ich kann nicht einfach etwas ausscheißen und es auf einer goldenen Platte servieren. Es muss wertvoll werden. Das macht es für mich schwierig, etwas zu schreiben. Insbesondere wenn Leute wie Matt Fletcher oder Chad Gilbert sagen, es sei gut wie es ist und es so lassen wollen. Ich will es immer noch weiter verbessern. Das ist der Punkt, an dem ich nervös werde. Wenn Leute deine Scheiße toll finden. Sorry für die eklige Analogie. Dieses Mal wollten wir die Dinge eben nicht zu sehr überdenken und tausendmal neu schreiben. Für mich ist das auch deshalb so schwer, weil ich nicht will, dass unsere Band vorhersehbar klingt. Das denke ich hört man den vorherigen beiden Alben auch an. Da gibt es viele seltsame Beats und verschachtelte Rhythmen. Wenn ein Part zu lange einen normalen 4/4 Takt hat, will ich das immer ändern, weil ich glaube, dass es langweilig ist. Sowohl Fletcher als auch Chad mussten mir erst beibringen, dass es oft nicht so ist. Wenn man sich das Album und Songs wie „A Human Failing“ genauer anhört, findet man auch dort ein paar vertrackte Rhythmen. Der größte Teil des Songs ist aber sehr geradlinig. Damit konnte ich anfangs nicht recht umgehen. Wenn nur Chad der Meinung gewesen wäre, dass es so in Ordnung ist, hätte er mich wohl nicht überzeugen können. Da aber Fletcher derselben Meinung war, war ich überzeugt. Jetzt habe ich richtig Gefallen daran gefunden. „Reach Beyond the Sun“ ist in meinen Augen unser stärkstes Album. Shai Hulud werden sich immer weiter entwickeln, aber wir werden auch immer wieder zu unseren Trademarks zurückkehren. Es wird immer Songs geben, die wie „Hearts Once Nourished…“, „That Within Blood…“ oder „Misanthrophy Pure“ klingen. Der Wunsch, wieder organischer und emotionaler zu klingen, hat sich jetzt allerdings gefestigt. So wird es wohl auch in Zukunft bleiben. Um auf deine Frage zurück zu kommen, das war genau das Ziel bei „Reach Beyond The Sun“.
Das ist jetzt das erste Album in der Geschichte von Shai Hulud, auf dem ein Frontmann zum zweiten Mal zu hören ist.
Ja, kaum zu glauben. Bei unseren Freunden von Further Seems Forever ist das übrigens genau das gleiche. Deren ursprünglicher Frontmann Chris Carrabba kam zurück, um auf deren neuem Album „Penny Black“ zu singen. Das fand ich witzig. Für uns ist es jedenfalls auch das erste Mal, dass ein Sänger zum zweiten Mal auf einem Album zu hören ist. Deshalb haben wir ihn auch gefragt. Chad war bereits früh als Produzent der Platte gesetzt. Damals hatten wir noch einen anderen Sänger, mit dem wir auch letztes Mal in Europa waren. Wir glaubten eigentlich, dass er die Platte mit uns machen würde. Hier und da gab es gewisse Unsicherheiten, aber wir waren zuversichtlich. Es kam aber irgendwann der Punkt, an dem wir einsehen mussten, dass es nicht klappen würde. Wir hatten also einen Termin im Studio, aber keinen Sänger mehr. Das ist ganz schön beängstigend. Ich habe Chad angerufen und ihn gefragt ob er sich darauf freut, die Platte zu machen. Er meinte, dass er es kaum abwarten könne. Als ich ihn dann gefragt habe ob er sie auch einsingen könnte, hat er gestaunt. Er war zunächst sehr skeptisch und meinte, dass es wohl keine gute Idee wäre. Das hat mich fertiggemacht. Die Alternative wäre gewesen, wieder irgendjemanden zu nehmen, der dann wieder nicht mit auf Tour kommen kann. Das haben wir jetzt zwar auch gemacht, aber zumindest haben wir einen Sänger auf dem Album, der schon bekannt war. Dass er nicht mit auf Tour kommen kann, war für mich in Ordnung. Mir war klar, dass das ohnehin das Problem sein würde ‒ egal wer das Album eingesungen hätte. Als Chad dann am nächsten Tag zurückrief und uns doch zusagte, fiel mir ein riesiger Stein vom Herzen. Ich war ohnehin schon voller Vorfreude weil ich wusste, dass wir starke Songs geschrieben hatten. Spätestens als feststand, dass Chad singen würde, war mit klar, dass dieses Album ein besonderes werden würde. Obwohl Chad nicht unser erster Sänger ist, ist der doch der, der auf dem ersten Album zu hören ist. Das hat alles sehr gut geklappt.
War es dein erster Impuls, ihn zu fragen?
Als wir uns von unserem Sänger getrennt hatten, war er meine erste Wahl. Wir hatten aber auch die Idee, Geert zu fragen. Das wäre auch cool gewesen: Ein Shai Hulud Album, das von Geert gesungen und von Chad produziert wird. Auf dem Song „Medicine Of The Dead“ haben wir so etwas Ähnliches gemacht. Auf dem Track sind alle unsere früheren Sänger zu hören. Das war mir sehr wichtig. Wir alle sind schließlich noch Freunde. Obwohl es immer mal wieder Ärger gab und einige Leute nicht miteinander klar gekommen sind, ist es doch so, dass alle einmal Teil von Shai Hulud waren, weil sie an die Sache geglaubt hatten. Wir haben es geschafft, all das böse Blut hinter uns zu lassen und Freunde zu bleiben. Wir hatten also Geert gefragt, ob er das Album machen will. Er singt aber inzwischen seine eigenen Texte in seiner Band The Black Atlantic und wollte einfach nicht wieder fremde Texte singen. Er hat uns angeboten, einen Gastauftritt zu machen, aber das ganze Album kam für ihn nicht in Frage. Dann haben wir Chad gefragt.
Ich fand es interessant, dass ihr sogar Damien dazu bekommen habt, etwas beizusteuern.
Als wir damals mit Shai Hulud angefangen haben, fand ich die Sachen, die Damien für Culture und seine anderen Bands gemacht hat, sehr gut. Er ist extrem talentiert und ich liebe seine Stimme. Morning Again haben ihr erstes Demo zwei Wochen vor uns aufgenommen. Als ich den ersten Song auf „The Cleanest War“ gehört habe, war ich ganz schön von den Socken. Damals dachte ich, dass wenn Damien jemals Shai Hulud verlassen würde, sich die Band sich genauso gut auflösen könnte. Offenkundig haben wir trotzdem beschlossen weiter zu machen, ich werde aber nie leugnen wie wesentlich seine Präsenz für Shai Hulud war. Er hat uns sehr dabei geholfen, die Richtung für die Band festzulegen. Mir persönlich war es sehr wichtig, ihn auf der Platte zu haben, da er genauso wichtig für die Band war wie alle anderen Sänger.
Was treibt er denn sonst so?
Er lebt in Michigan und hat einen guten Job als Art-Director bei einer großen Firma. Damien war schon immer sehr smart und kreativ. Er nutzt das nicht nur für seine Musik. Darüber hinaus haben As Friends Rust wieder ein paar Shows gespielt und Culture planen für dieses Jahr eine Reunion. Er hat auch eine neue Band namens On Bodies, zusammen mit ein paar anderen Freunden. Damien ist immer noch sehr aktiv und wohl so glücklich wie noch nie. Ich finde es toll, heute mit ihm befreundet zu sein. Als wir uns kennen gelernt haben waren wir beide noch Kids, heute sind wir erwachsen.
Warum ist es so schwierig für euch einen ständigen Frontmann zu haben?
Da gibt es mehrere Gründe. Es ist schon für zwei Menschen schwer genug, eine stabile Beziehung zu führen. Nimm beispielsweise eine romantische Beziehung zwischen Mann und Frau. Es ist noch viel schwieriger für fünf Menschen auf engem Raum zusammen zu existieren. Ich glaube auch, dass es für unsere Band besonders schwierig ist. Ich bin für viele der Texte verantwortlich. Der Sänger von Shai Hulud muss sehr eng mit mir zusammenarbeiten. Wir müssen uns sehr einig sein, er muss ähnlich wie ich denken und fühlen. Diese Person muss schließlich viele meiner Gedanken und Emotionen in den Vocals verkörpern. Unsere Sänger sind natürlich immer ermutigt auch Ideen beizusteuern, aber meine eigenen werden auch immer da sein. Wir müssen also eine sehr enge Verbindung haben. Gleichzeitig muss der Sänger auch mit allen anderen in der Band klarkommen. Das ist nicht immer einfach. Selbst wenn der Sänger seine eigenen Texte schreibt, ist es nicht einfach für fünf Leute, zusammen in einem Bus ohne Geld die Welt zu bereisen. In einer Band wie Shai Hulud zu spielen und so wenig Geld zu verdienen ist ganz klar eine Arbeit, in der viel Liebe stecken muss. Man muss im Grunde die Entscheidung treffen keine Freundin zu haben, man kann keinerlei feste Bindungen unterhalten. Man muss sowohl auf als auch neben der Bühne extrem hart für sehr wenig Geld arbeiten. Es macht zu allem Überfluss nicht immer Spaß und es gibt immer wieder Spannungen zwischen den Bandmitgliedern.
Unsere Mitglieder haben uns aus den unterschiedlichsten Gründen verlassen, hauptsächlich aber wohl aus finanziellen. Wir hatten schon mindestens dreimal die Situation, dass wir Leute gefunden hatten, von denen wir überzeugt waren. Wir sind alle gut klar gekommen, sie verstanden, worum es in der Band geht, konnten ihren Teil beitragen und auch die alten Songs überzeugend darbieten. Aber auch sie mussten sich am Ende mit der finanziellen Realität abfinden. Dabei ist das nicht einmal böse gemeint, niemand wollte aus den falschen Gründen in der Band sein. Aber im Leben gibt es einfach gewisse Prioritäten. Eines unserer Mitglieder hat jung geheiratet und seine Frau war finanziell auf ihn angewiesen. Er war bereit fulltime zu touren aber hätte einfach 500 Dollar die Woche verdienen müssen. Das funktioniert bei uns nicht. Er hatte einfach keine Möglichkeit, mit weniger zu leben. Wie schon gesagt, ich habe mein Leben so gestaltet, dass es mit weniger funktioniert. Jemand, der sein Leben aber schon auf eine gewisse Weise eingerichtet hat, kann nicht mehr so einfach zurück. Manchmal gehen wir auf Tour und kommen tatsächlich mit einem Gewinn nach Hause. Darüber freuen wir uns und können unsere Rechnungen bezahlen. Aber es gibt andere Touren, wie beispielsweise diese hier. Propagandhi waren so nett uns mitzunehmen, finanziell erreichen wir aber nicht einmal den break-even. Wir werden drauflegen müssen.
Aber neben den finanziellen Gründen gibt es natürlich auch persönliche. Wir hatten einen Sänger, der einfach nicht mit uns auf Augenhöhe war. Er hat unseren Background aus Punk, Hardcore und Metal nicht verstanden. Er kam eher aus einer Mainstream-Welt. Er hat die Gegenkultur nicht verstanden und oft eher eine Sichtweise gehabt, wie sie der meiner Mutter entsprechen würde. Auf der Bühne hat er nicht kapiert, warum er das Mikrophon immer ins Publikum geben sollte, schließlich sei er ja derjenige der performt. Er hat nicht verstanden, dass es eben nicht so ist, dass wir für die Leute etwas aufführen, sondern dass wir mit den Kids zusammen eine Erfahrung machen. Wir teilen unsere Erfahrung und Leidenschaft mit den Kids, packen sie am Kopf und schreien uns mit ihnen die Seele aus dem Leib. So läuft das eben. Er hat es nicht kapiert und ist deshalb auch nicht mehr in der Band. Ich glaube nicht, dass er ein schlechter Mensch ist oder so. Er hat nur nicht gefühlt und gedacht wie Shai Hulud. Das konnte nicht funktionieren. Er hatte eine sehr gute Stimme und eine gute Bühnenpräsenz. Trotzdem hat es einfach nicht geklappt. Dann gibt es natürlich auch andere Leute, die auf Tour einfach nur nerven. Die andauernd unglücklich sind, Befindlichkeiten haben, denen nie etwas gut genug ist, die nicht auf dem Fußboden schlafen wollen, dauernd etwas benötigen und immer schlechte Laune haben. Manchmal hat man Leute in der Band, mit denen man nicht einmal mehr zum Essen gehen würde. Es gibt immer viele Gründe, ideologische, finanzielle, persönliche. Es ist sehr schwierig. Ich bin immer noch Single. Ich habe in meinem Leben vielleicht drei Frauen getroffen, von denen ich glaubte, dass sie mir ähnlich genug waren, um mich an sie zu binden. Und dabei sprechen wir von nur zwei Menschen. Ich brauche keine Freundin, um zu überleben, aber ich brauche einen Sänger für meine Band, um auf Tour zu gehen. Ich werde mich also nicht mit einem Mädchen einlassen wenn ich der Meinung bin, dass es nicht passt zwischen uns. Manchmal muss ich mich aber mit einem Sänger einlassen, weil ich sonst nicht auf Tour gehen kann. Der Sänger unserer anderen Band Zombie Apocalypse hat einmal zu mir gesagt, dass wenn man Kunst macht und dabei sein eigenes Überleben im Hinterkopf hat, man immer gezwungen ist, Kompromisse zu machen. Damals war ich nicht seiner Meinung, inzwischen muss ich ihm aber Recht geben. Die Tatsache, dass Shai Hulud schon so oft mit Mitgliedern auf Tour war, weil es einfach nötig war und nicht weil derjenige den Platz optimal füllen konnte, beweist das. Wir haben das mit Drummern, Sängern und Gitarristen gemacht. Das machen auch andere Bands regelmäßig. Man muss einfach überleben. Ich glaube aber, dass wir mit dem Lineup, das wir jetzt hier in Europa haben, zumindest sehr nahe an einem dauerhaften Lineup sind. Aber wir wissen natürlich alle, dass nichts in diesem Universum wirklich dauerhaft Bestand hat.
Du hast also noch nicht aufgegeben nach einem beständigen Lineup zu suchen?
Nein, ich glaube, es liegt in der menschlichen Natur, nach Stabilität zu suchen. Um die Frage abzuschließen, wenn selbst das Universum irgendwann in sich zusammenfällt und endet, dann ist eins sicher: Shai Hulud werden ihren Sänger wechseln.
Hmm... ich bin mir nicht sicher, ob ich dir die nächste Frage stellen kann.
Doch, los, nur raus damit, ich beantworte dir alles.
Wer ist dein Lieblingssänger von Shai Hulud?
Klar, das kann ich beantworten. Ich gehe sie am besten mal alle durch. Wie gesagt, haben Morning Again damals ihr Demo zwei Wochen vor uns aufgenommen. Die Musik von uns war verglichen mit der von Morning Again recht zahm und melodisch. Daher dachte Damien damals, dass wir auch einen etwas melodischeren Gesang wollten. Was ich aber wollte, war melodische Musik, und dazu sollte sich jemand die Seele aus dem Leib schreien. Mit all seiner Wut, Frustration und Leidenschaft. Ich wollte keinen Emo-Sänger, sondern einen extrem wütenden, weil ich finde, dass genau das sehr emotional ist. Ich hörte also das Demo von Morning Again und dachte mir, wenn wir diese Stimme zu unserer Musik hätten, könnte meine eigene Band zu meiner Lieblingsband werden. An dem Tag, an dem Damien dann seine Vocals aufgenommen hatte, war ich zunächst enttäuscht. Er hat einen deutlich leichteren und softeren Stil gewählt. Was ich aber wollte, war die Härte des Morning Again Demos. Da klingt er so bösartig. Ich liebe seine Stimme nach wie vor, aber von seiner Leistung auf unserem Demo war ich enttäuscht. Damien falls du das hier liest, sei mir bitte nicht böse, es liegt zwanzig Jahre zurück und ich sag hier nur die Wahrheit.
Als Chad dann zu uns kam, nannten wir ihn „unser kleiner Deadguy“. Wir alle lieben die Band Deadguy und fanden, dass er ähnlich klingt wie Tim Singer, der Sänger von Deadguy. Als Chad die „Profound Hatred of Man“-EP gesungen hatte, habe ich seine Stimme geliebt. Dann haben wir „Hearts Once Nourished “ aufgenommen und ich hasste die Aufnahme. Ich mochte die Produktion nicht und ich fand die Songs unausgereift. Was übrigens vielleicht auch der Auslöser ist, warum ich später immer alles verbessern will. Ich war wirklich unzufrieden mit den Songs. Aber ich war auch mit Chads Stimme nicht zufrieden. Andere Leute lieben seine Stimme auf dem Album, ich persönlich fand aber, dass er die Leistung von der EP nicht wiederholte. Auf der Split mit Indecision hingegen klang er wieder großartig. Ich liebe also prinzipiell Chads Stimme. Das neue Album ist in meinen Augen das Beste, was er je gemacht hat. Ich finde, es klingt einfach wie ein erwachsener, angepisster Typ. Es gibt ein paar Songs auf der Platte, bei denen er einfach killt. Bei „I, Saturnine“ bekomme ich noch immer Gänsehaut und auf „Man Into Demon“ klingt er so unglaublich heavy. Chad ist auf jeden Fall eine meiner Lieblingsstimmen. Zum einen weil ich die Stimme einfach liebe und zum anderen auch, weil er bisher die meisten Shai Hulud Songs aufgenommen hat. Es ist einfach die größte Auswahl. Wenn ich also eine Wahl treffen muss, wird es sich zwischen ihm und Geert auf der Split mit Another Victim entscheiden.
Als wir die ersten Aufnahmen von Geert zu „Set You Body Ablaze“ hörten, sagten wir und sogar unser Booking Agent, der damals übrigens kein anderer als Jamie von Hatebreed war, einfach nur: „Heilige Scheiße“. Dieses Kid hat es drauf. Ich liebe seine Stimme. Er klang einfach so angepisst. Geert hat eine Laser-Stimme, so nennen unser jetziger Drummer und ich das. Es ist ein konzertierter Energiestrahl, der durch und durch geht. Als die Split erschien, war Geert mein bisheriger Lieblingssänger. Man muss aber auch sagen, dass ich seine Stimme auf „Ill-Tempered“ nicht mehr so mochte. Er klang sicherlich nicht schlecht, aber er hatte denselben Ansatz gewählt wie damals Damien. Es war einfach zu emotional. Die eigentliche Emotion kommt von der aufrichtigen und ehrlichen Wut. Keiner meiner Lieblingssänger aus dem Hardcore, Leute wie die Sänger von Sick Of It All, Killing Time, Deadguy oder Chain Of Strength, haben versucht „emotional“ zu klingen. Sie sind einfach sauer. Die Emotion kommt durch die Wut. Geert hat das auf „Ill-Tempered“ etwas anders gesehen. Er hat damals auch angefangen andere Musik zu hören. Er stand auf U2, und Coldplay kamen damals gerade groß raus. Ich hasse Coldplay. Geert mochte sie sehr. Ich glaube, er hat versucht seinen Gesangsstil zu emotionalisieren, sofern das ein Wort ist. Wir wollten das aber nicht. Die Platte hat einige großartige Momente, aber insgesamt ist sie mir gesanglich zu soft. Geert hat die Komplexität der Musik auf der Platte gut verstanden und ich glaube, er hat mit seinem Gesang versucht, diese auch widerzuspiegeln. In meinen Augen ist aber die Band für die Komplexität zuständig. Der Sänger soll einfach nur wütend sein.Seine Arbeit auf der Platte ist alles andere als schlecht, aber seinen großen Moment hatte Geert in „Set You Body Ablaze“.
Ich will noch auf „Misanthropy Pure“ zu sprechen kommen. Ich liebe auch Matt Mazzalis Stimme. Er hat eine sehr starke und angepisste Stimme. Viele Leute wissen das nicht, weil sie ihn nur vom Album her kennen. Das war eine Produktionsentscheidung. Die ersten Demos klangen völlig anders. Sie waren nicht so tief und spielen sich nicht immer in derselben Tonlage ab. Seine Stimme war sehr viel dynamischer. Gegen Ende der Aufnahmen fand unser Produzent jedoch, dass sie viel wütender sein müsste. Daraus resultierte dann eine tiefere und gleichförmigere Stimme. Lediglich der Titeltrack unterscheidet sich vom Rest, weil es dort nicht funktioniert hätte. Viele Leute mögen die Stimme von Matt Mazzali nicht, weil sie ihn nie so gehört haben, wie er eigentlich klingt. Ich finde, dass die Vocals auf „Misanthropy Pure“ sehr gut zur Musik der Platte passen. Sie sind insgesamt etwas zu tief und etwas zu sehr Metal. Wie gut seine Stimme wirklich ist, kann man auf „Medicine Of The Dead“ hören. Ich weiß nicht, ob das deine Frage beantwortet, aber ich glaube, es hat etwas beleuchtet, wie ich über die Sänger denke.
Ihr habt noch ein paar andere Sänger auf dem Album.
Ja, Chad und ich haben ein paar Freunde, von denen wir dachten, dass sie dem Album gut stehen würden. Chad lebt in Kalifornien und hängt viel mit den Jungs von Terror rum. Er schlug vor, sie mit auf das Album zu nehmen. Die Terror-Jungs haben dann die Gangvocals beigesteuert. Die klingen einfach großartig. Wenn man jemand auf seinem Album haben will, um Gangvocals zu machen, warum nicht gleich der Kern von Terror. Sie haben einen großartigen Job abgeliefert. Weiterhin sind Freunde von mir auf dem Album, mit denen ich schon seit längerem zusammenarbeiten wollte. Daniel von Bitter End ist mit dabei, leider ist sein Part etwas unter gegangen so, dass man ihn kaum noch hört. Jonathan Vigil von The Ghost Inside ist auch auf dem Album. Ich hab ihn schon vor Jahren kennengelernt, als seine Band noch lange nicht so groß war wie heute. Wir haben mit ihnen gespielt und ich habe ihm ein Kompliment wegen seiner coolen Vocals gemacht. Er meinte nur, dass er im Grunde nichts anderes tut, als Chad zu kopieren. Wir haben also beschlossen, dass er unbedingt auf unserem nächsten Album einen Gastbeitrag haben sollte. Das war dann erst vier Jahre später. In der Zwischenzeit ist seine Band ganz schön durch die Decke gegangen. Wir sind Freunde geblieben und er ist noch immer so bodenständig. Ich habe ihn also angerufen, als wir in Kalifornien waren. Er war sofort dabei und hat einen Beitrag auf „If a Mountain Be My Obstacle“ beigesteuert. Weiterhin habe ich mich mit Jay Pepito von Reign Supreme angefreundet als ich nach New Jersey gezogen bin. Er ist ein großer Fan von Shai Hulud und hat eine großartige Stimme. Er war dann auch gleich mit an Bord. Es hat von dem Beschluss bis zur Umsetzung auch gut vier Jahre gedauert und wurde zu einer Art Treppenwitz in der Zeit. Als ich seinen Beitrag zu „A Human Failing“ hörte, habe ich Gänsehaut bekommen. Ich habe zu ihm gesagt, er habe jetzt das ganze Album ruiniert weil er so intensiv klingt und der Rest da nicht mithalten könne. Er hat nur gemeint, dass genau das auch sein Ziel war. Wir haben also viele Freunde mit auf dem Album.
War es dir wichtig, dass es Freunde sind oder hättest du auch jemand anderen auf die Platte genommen ‒ weil er einen großen Namen hat?
Ich hätte nichts dagegen gehabt, Leute auf dem Album zu haben, die ich nicht persönlich kenne. Ich habe Chaka von Burn gefragt, den ich zwar ein paarmal getroffen habe, aber nicht wirklich kenne. Ich mag seine Stimme und wollte unbedingt, dass er auf dem Album ist. Das hat leider nicht geklappt. Das gleiche gilt für Tim Singer von Deadguy. Wir kennen uns auch nur entfernt, aber wir alle sind so große Fans von Deadguy. Jesse Michaels von Operation Ivy habe ich erst ein Mal getroffen, er wäre aber sicher auch ein guter Kandidat für unseren Gastsänger. Ich würde jeden nehmen, dessen Stimme gut zur Musik passt und hilft, die Bedeutung des Songs rüber zu bringen. Ich würde aber nicht einfach nur einen großen Namen um dessen Namens Willen nehmen. Es muss schon eine Stimme dahinter stehen, die zur Band passt. Übrigens, Justin Kraus, der Sänger der auf dieser Tour mit dabei ist, hat den größten Teil der individuellen Backup Vocals auf dem gesamten Album eingesungen. Er ist sicher kein großer Name aber er hat einfach eine tolle Stimme, die genau das ist, was wir brauchten. Darum ist er heute auch mit auf der Tour.
Wovon handeln die Texte auf dem neuen Album?
Wir haben dieses Mal eine Menge verschiedener Themen behandelt. Wie auf fast jedem Album. Den Song „If a Mountain Be My Obstacle“ hatten wir ursprünglich für „Misanthrophy Pure“ geschrieben, aber dann beschlossen, ihn nicht auf das Album zu nehmen weil er zu positiv war. Er ist sehr aufbauend und auf dem Album wollten wir damals eher die düsteren Seiten erkunden. Diese Limitierungen gab es bei dem neuen Album nicht. Ich habe einfach geschrieben, was mir in den Sinn kam. Der Song „Reach Beyond The Sun“ hat eine recht interessante Entstehungsgeschichte. Das Album war ursprünglich nicht mit „Reach Beyond The Sun“ betitelt. Wir haben den Titel erst geändert, als das Album fertig war. Ich bin auf den Titel des Songs gekommen, als ich ein Gitarrenriff geschrieben habe und wieder einmal daran gezweifelt habe, dass es gut ist. Ich war der Meinung, dass es einfach nicht mehr möglich ist, etwas Originelles zu schreiben. Es gibt dafür das amerikanische Sprichwort „there is nothing new under the sun“. Also habe ich mir selbst einen positiven Tritt in den Hintern verpasst und mir gesagt, dass wenn es nichts Neues mehr unter der Sonne gibt, vielleicht muss ich hinter die Sonne greifen, also „Reach Beyond The Sun“. Das hatte nichts mit den Texten zu tun, sondern war eher ein Leitsatz für mich. Ich habe es dann aufgeschrieben und dachte mir, es sei ein guter Titel. Worum aber handelt ein Song mit diesem Titel? Was bedeutet das? Es hatte keine Bedeutung, bis wir eine dafür gefunden haben. „Reach Beyond The Sun“ ist der Gegenpart zu „I, Saturnine“. Die Songs zusammen sind so etwas wie eine Science Fiction Geschichte. Das Wort „Saturnine“ bedeutet düster, schwermütig, bedrückt im Gemüt. Der Charakter, nennen wir ihn mal „sie“ ist schwermütig und bedrückt und der Meinung, dass es keine Hoffnung mehr für die Menschheit gibt. Der Gegenpart dazu in „Reach Beyond The Sun“ spricht davon, dass die Sonne sich durch die Schwärze in den Herzen der Menschen verfinstert hat. Es gibt so viel Hoffnungslosigkeit, Elend und Traurigkeit in der Welt. Die Sonne ist keine Sonne mehr, sondern reflektiert nur noch das, was sie in uns sieht. „I, Saturnine“ beschreibt die harte Realität. Die Menschen sind gewalttätig und bösartig. „Reach Beyond The Sun“ sagt dann, dass aber nicht das ganze Universum so ist und man diesen schlechten Ort verlassen muss. Das bedeutet „Reach Beyond The Sun“, mach weiter, finde einen besseren Weg. Das muss keine Science Fiction sein, es kann genauso gut eine Beziehung sein, die schlecht ist, ein Job, der einem nicht gefällt oder wenn man generell nicht glücklich ist im Leben. Reach beyond, extend, outreach, reignite. Zünde die Sonne wieder an, zünde dein Leben wieder an, entfache deine positive Lebensenergie neu. Ich mag den Kontrast dieser beiden Songs. Das Spannungsfeld aus düster und positiv ist sicher nichts Neues mehr, aber ich finde es cool, wie „I, Saturnine“ so langsam und düster ist und dann „Reach Beyond The Sun“ wie ein Ausbruch von PMA (Positive mental attitude) wirkt. Ein realistischer Ausbruch von PMA, nicht diese Art von Bullshit-PMA, wo man sich selbst immer wieder sagt, dass man etwas schaffen kann, was man aber faktisch nie erreichen wird. Der Song ist eher eine Erinnerung daran, dass man selbst die Kontrolle hat und man seine Situation ändern kann.
Ein weiterer sehr positiver Song ist „If A Mountain Be My Obstacle“. Es geht um Mann gegen Berg. Der Mann bezwingt den Berg weil er es sich zum Ziel gesetzt hat. Er hat bestimmt, zu gewinnen. Der Berg steht als Sinnbild für das, was auch immer dein Hindernis ist.
Ich mag auch den Text von „Man Into Demon“ sehr. Wenn Männern das Herz gebrochen wird, hört man immer schnell Dinge wie „diese Schlampe“ usw. Das zeigt in meinen Augen vor allem Schwäche. Wenn jemand mit der Tatsache nicht umgehen kann, dass die Frau, die man liebt, beschlossen hat, sich lieber mit jemand anderem zu treffen, weil sie das glücklicher macht, ist das reine Schwäche. Das ist ihr gutes Recht und viele Männer begreifen das nicht. Die Idee des Songs ist, dass mit jeder dieser Schwächen eine neue Narbe im Gesicht erscheint. Auch durch all die anderen negativen Dinge wie engstirnige Wut, grundloser Hass oder Rassismus erscheinen diese dämonischen Veränderungen am Körper. Es wachsen Zähne, Hörner, Flügel bis man sich in einen vollen Dämon verwandelt. Ich mag dieses Konzept. Im Song gibt es einen Erzähler, der ebenfalls zum Dämon wird, aber eher eine Art Gegendämon darstellt, um die anderen Dämonen zu bekämpfen.
Ein anderer Song, den ich gern besprechen würde, ist, „At Least A Plausible Case For Pessimism“. Das ist ein besonderer Song für uns. Den Titel tragen wir auch schon seit einer kleinen Ewigkeit mit uns herum. Sicherlich schon seit fünf Jahren. Wir wussten, dass wir einen Song so nennen wollen, wussten aber nicht, wovon er handeln soll. So ähnlich wie bei „Reach Beyond The Sun“. Immer wenn ich versucht habe, etwas dazu zu schreiben, kam nur Mist dabei raus. Ich habe immer wieder darüber nachgedacht und versucht, unterschiedliche Blickwinkel zu finden. Es hat aber nie geklappt. Irgendwann habe ich einfach drauflos geschrieben. Ohne mir groß Gedanken zu machen. Dabei kam das heraus, was es heute ist. Im Endeffekt geht es um eine Frau, die so sehr in ihrer eigenen Gedankenwelt untergetaucht ist, dass sie sich von anderen Menschen losgelöst hat. Diese hingegen sind völlig von Wahnvorstellungen eingenommen. Wahnvorstellungen tauchen dann wiederum in „To Suffer Fools“ auf, wo Menschen sich einreden, ihre Wahnvorstellungen seien real, damit sie nachts schlafen können. Ich mag an „Pessimism“, dass er von einer smarten Frau handelt. Ich fand besonders cool, dass viele meiner weiblichen Freunde, die den Text gelesen haben, ihn gut fanden. Sie meinten, ich hätte einige wichtige feministische Gedanken umgesetzt. Das hat mich sehr gefreut. Ich wurde allein von Frauen aufgezogen und ich muss mir von anderen Männern immer anhören, dass ich wie eine Frau rede. Vielleicht ist da was dran.
Ein Thema, dass sich wie ein roter Faden durch das Album zieht, ist die starke Wahrnehmung der Realität. Das kommt in fast jedem Song vor. Was ist Optimismus? Was ist Pessimismus? Sind wir wirklich optimistisch oder pessimistisch oder haben wir jeweils nur einen Grund dazu? Sehen wir die Dinge wirklich so wie sie sind? Wenn du pessimistisch bist, liegt es an dir, oder daran, dass man dir gerade deinen Fuß amputiert hat?
Einen Song, den ich noch erwähnen muss, ist der Opener „The Mean Sprit Breathing“. Wir hatten wieder einmal den Titel vor dem Text und hatten einen Song vor Augen, der von schlechten Menschen handelt. Ich hatte hier ein paar Zeilen fertig und es war ein typischer Text von Shai Hulud. Dann aber ist ein sehr guter Freund von uns bei einem Surf-Unfall ums Leben gekommen. Jeder sagt das über seine toten Freunde, aber er war ein wirklich wunderbarer Mensch. Er war ein Lehrer, Tutor, ein Aktivist, Judo-Trainer, Surfer. Sie haben einen Strand nach ihm in seinem Heimatort benannt. Als er starb, war die ganze Band untröstlich. Auf einmal wussten wir, wovon der Song handeln soll. „The Earth thrives on the substance of its corpses, while the mean spirits breathing befoul the air“. Die Erde erblüht durch das Fleisch ihrer Leichen, damit ist die Güte, das Positive und die Seele unseres Freundes Daniel gemeint. Der Rest von uns, der noch am Leben ist, muss die vergiftete Luft einatmen, die von den bösen Geistern ausgeatmet wird. Ich bin kein besonders spiritueller Mensch, aber der Text zu „Mean Spirits, Breathing“ war Daniels Abschiedsgeschenk an uns. Der Song ist seiner Erinnerung und seinem Wesen gewidmet.
Wie entscheidest du, ob ein Text gut ist?
Im Endeffekt muss ich dran glauben. Wenn ich einen Text schreibe, dann weiß ich genau, wenn er nicht ehrlich ist oder kein Herz hat. Manchmal versucht man sich selbst davon zu überzeugen, dass etwas gut ist. Dass es Tiefe hat und echte Emotionen beinhaltet, obwohl es eigentlich hohl ist. Man hat dann einfach keine besseren Ideen. Man betrügt sich so ein Stück weit selbst, ich denke das macht jeder. Meistens komme ich mir aber recht schnell selbst auf die Schliche. Ich lese es dann am nächsten Tag und erkenne genau, dass es scheiße ist. Dieser Kontrolle muss ein Text standhalten.
Wie lange dauert es, bis du den Text jemand anderem zeigst?
Das kommt ganz auf die Person an. Wenn es jemand ist, der den kreativen Prozess versteht und vielleicht auch dabei helfen kann, zeige ich es recht schnell. Ich liebe es, Hilfe zu bekommen. Viele Leute glauben, dass Shai Hulud allein mein Ding ist. Ich bin zwar schon immer in der Band, aber ich mag es nicht, alles alleine zu machen. Ich genieße es, mit anderen zusammenzuarbeiten und deren Input aufzunehmen. So entsteht oft etwas viel besseres. Man sammelt quasi gemeinsam den Lehm in Form von Ideen, aus dem dann später dann das Ergebnis modelliert wird. Wenn man allein an etwas arbeitet, hat man oft nicht einmal genügend Lehm, um irgendetwas zu modellieren. Manchmal bekommt man von anderen Leuten auch keine fertigen Kunstwerke, sondern einfach nur das Material, mit dem man arbeiten kann. Ich zeige meine Arbeit nur Leuten, die sie auch verstehen und es gibt nur wenige Leute die diesen kreativen Prozess begreifen. Diesen Leuten zeige ich meine Sachen sehr früh.
So, damit wäre ich durch mit meinen Fragen. Vielen Dank für die ausführlichen Antworten. Du hast mir jede Menge Lehm gegeben.
Ich hoffe, es war nicht zu viel, ich weiß, ich schweife immer etwas ab.
Das ist super. Viel besser als zu kurze Antworten.
Ich finde, wenn sich jemand die Zeit nimmt, mehr über unsere Band zu erfahren, ist es auch meine Pflicht und auch mein Vergnügen, so viele Informationen wie möglich zu liefern.
Hast du noch abschließende Worte?
Ich kann nur sagen, was ich immer wieder sage. Danke, Schweiz für Coroner und Celtic Frost.
Ich schreibe für ein deutsches Magazin.
Ah, okay. Dann danke ich der Schweiz für Coroner und Celtic Frost und natürlich auch Deutschland für Sodom, Kreator, Spermbirds, Destruction, Deathrow, Tankard, Rykers… ich könnte ewig weiter machen. Ihr habt so viele gute Bands.
Rolf Gehring
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