Katatonia sind sicherlich eine absolute Ausnahmeerscheinung in der heutigen Metal Welt. Ihr aktuelles Album "Night Is The New Day" lässt melancholische Herzen höher Schlagen. Grund genug sich Frontmann Jonas für ein paar Fragen zur Brust zu nehmen.
H: Hallo Jonas! Die erste Äußerung zu eurem neuen Album hab’ ich von Opeth Sänger Mikael Akerfeldt mitbekommen. Der war so begeistert, er war nicht nur euphorisch, er sagte, dass es das Beste ist, was ihr je gemacht habt… Was habt ihr ihm denn dafür gezahlt?
JR: Ich musste ihm meine komplette Plattensammlung rüberschieben… Nee, im Ernst, Mikael ist einer der ehrlichsten Menschen, die ich kenne. Er würde mir ohne Umschweife sagen, wenn er das Album nicht mögen würde. Das wär auch gar kein Problem für mich. Und du kannst mir glauben, er würde in der Öffentlichkeit NIEMALS etwas sagen, hinter dem er nicht 100%ig steht.
H: Er erwähnte auch so eine Art Ritual, und zwar spielt Ihr euch wohl eure jeweils neuen Alben gegenseitig in einer intimen privaten Listening-Session vor. Wie kam es denn dazu?
JR: Oh, das hat einfach damit zu tun, dass wir befreundet sind und das neue Material hören wollen. Das macht Spaß und ist ein guter Grund sich zu betrinken!
H: Das Album heißt “Night Is The New Day”. Die erste mögliche Interpretation zielt in Richtung meiner Kids und wie sich mein Tagesablauf durch sie verändert hat. Was ist deine Erklärung für den Titel?
JR: Für mich ist er eine Metapher für den Zustand der Welt dieser Tage. Es wird eben immer düsterer. Ich muss aber sagen, dass mir deine Interpretation sehr gut gefällt, wir scheinen da ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben!
H: Nach dem ersten Hören war ich ganz schön baff. Mir fehlten zunächst erst mal Gitarren und ich war überrascht vom großen Anteil an Porgramming. Als das Album im Studio dann Formen annahm und ihr absehen konntet, worauf es soundtechnisch hinauslaufen würde, hattet ihr da vielleicht auch ein bisschen Sorge wegen der Reaktionen der Fans?
JR: Nicht wirklich. Wir wollen das auch gar nicht zu sehr an uns heranlassen was andere Leute über dieses oder jenes denken könnten. Dann würden wir auch niemals mit irgendeinem Album fertig werden. Es geht nur darum, die Songs zu finden und sie sich ihren Weg suchen zu lassen. Dieses Mal haben wir uns für einen eher atmosphärischen Sound entschieden, weil das Material einfach danach verlangt hat. Jedenfalls haben wir das so empfunden.
H: Nach ca. 20 Durchläufen hat es bei mir dann endlich klick gemacht, mittlerweile liebe ich das Album, finde alle Katatonia-Qualitäten in ihm und finde es vor allem sehr mutig. Die Tatsache, dass das Programming viel mehr Raum einnimmt wird zunehmend unwichtig, was zählt ist der Song und die Atmosphäre. Siehst du das Album auch als “Grower”?
JR: Doch, auf jeden Fall. Das ist es auch, was mir an fast allen meinen Lieblingsalben so gefällt. Da findet man auch nach langer Zeit immer mal wieder neue Sachen oder Perspektiven. Manchmal hat man da zwei Jahre oder sogar noch später nach dem Kauf plötzlich ‘nen neuen Lieblingssong!
H: Ich frag mich ja, wie eure Songs entstehen. Geschieht das bei der gemeinsamen Probe, wo dann jeder seinen Teil beitragen kann, oder schreiben einzelne Mitglieder die Songs und präsentieren sie dann der Band?
JR: Anders und ich schreiben tatsächlich alleine und wir proben auch nur sehr selten als Band. An sich nur vor Shows oder Touren. Wir schicken unsere Ideen an die anderen Jungs und kriegen dann Rückmeldung von ihnen. Später treffen wir uns dann im Studio und gehen es dort an. Üblicherweise ist ein Katatonia-Song auch nicht vor dem Abmischen fertig, der kreative Prozess ist also keinesfalls vor den Studioaufnahmen abgeschlossen.
H: Gibt es eine Art interne Kontrollinstanz, jemanden der z.B. kritisch beäugt ob sich einzelne Parts an andere (eigene oder fremde) Songs anlehnen?
JR: Wenn Anders und ich uns unsere Ideen gegenseitig präsentieren, dann merken wir üblicherweise recht schnell, wenn etwas falsch oder faul ist. Wenn man völlig vom Schreiben und Arrangieren vereinnahmt ist, dann kann man Sachen meist nicht mehr mit einer gewissen Distanz hören, es fehlt einem der Abstand und man wird quasi betriebslind. Jemand der dann aber mit „frischen“ Ohren an das Material herangeht, kriegt so was aber schnell raus.
H: Der Anfang von “Liberation” erinnert mich ein bisschen an Tool und auch etwas an euren Song „Evidence“. Ist das etwas, das du hasst, oder kennst du das von dir selbst, wenn du Alben zum ersten Mal hörst?
JR: Mich stört das gar nicht so sehr, wenn ein Song an etwas anderes erinnert, so lange es eben keine offensichtliche Kopie ist. Wir haben ja alle unsere Einflüsse. Und „Evidence“ ist ja auch ein Katatonia-Song, das ist also völlig okay für mich.
H: Als ich “The Promise Of Deceit” gehört hab, musste ich gleich mal an ein paar Eurer Singles denken, auf denen es ab und an B-Sides gab, die teilweise Remixe waren. War es dieses Mal besonders schwierig für euch die Songs abzuschließen, zu beenden oder wart ihr versucht immer mehr an den Songs zu verändern?
JR: Ach was, es war sogar ‘ne ganz einfache Sache zu hören, wann ein Song arrangementmäßig fertig war. Das Problem ist natürlich, dass man auf ewig an Details weiterfummeln kann. Irgendwie muss man aber dann ein Ende finden, zufrieden mit dem Song sein und weiter zum nächsten gehen.
H: Gab es größere Veränderungen bei den Aufnahmen zum neuen Album, oder habt ihr schon vor einiger Zeit Euren eigenen Modus gefunden?
JR: Da gab es dieses Mal keine wirklichen Veränderungen. Wir wissen wie wir am besten arbeiten und werden da auch nichts dran ändern „Never change a winning Team!“.
H: Ich hab gelesen, dass das Artwork des Albums den finalen Part eines dreiteiligen Konzepts darstellt. Habt ihr die letzten drei Alben also im Voraus als ein großes Konzept angelegt?
JR: Yeah, das ist irgendwie zusammenhängend mit dem, was wir auf „The Great Cold Distance“ und der Live-DVD-Geschichte „Live Consternation“ gemacht haben. An sich keine große Sache, es hat uns einfach gefallen, was mit diesen Albumartworks transportiert wurde. Mal sehen was das nächste Mal passieren wird!
H: Der siebte Song heißt “Nephilim”, was mich natürlich sofort an Carl McCoy und seine Band The Fields Of The Nephilim denken lässt – gibts da denn ‘ne Verbindung, bist du Fan?
JR: Ein riesengroßer Fan! Da dieser Song doomiger ist als alles, was wir seit Jahren gemacht haben, wollte ich ‘nen Titel und ein textliches Konzept, das etwas mehr in Richtung der frühen Katatonia geht. Und Fields Of The Nephilim waren ein sehr großer und wichtiger Einfluss für uns als wir den Grundstein für die Band gelegt haben.
H: Ich habe keine Texte von den Songs, gibts denn ein übergreifendes Thema mit dem du dich beschäftigst oder worum geht’s in den Songs?
JR: Ach, nicht so richtig. Im Prinzip sind’s die gleichen Themen, aber ich versuche das Beste daraus zu machen und auch mal ’ne andere Perspektive einzunehmen. Ach, ich weiß nicht. Hat viel mit Gefühlen zu tun und ich kann’s nicht so recht erklären.
H: Hast du ein Lieblingslied auf dem neuen Album?
JR: Im Moment sind’s „Onward Into Battle” und “Departer”. Aber ich liebe sie eigentlich alle.
H: Wie läuft das denn mit dem erhöhten Programming-Anteil, wie macht ihr das live, steuert das alles euer Drummer, oder engagiert ihr einen Keyboarder für die Liveshows?
JR: Da sind wir gerade dran. Wir haben da noch nichts entschieden, aber ich hoffe wir kriegen die ganze Atmosphäre des Albums auch live rüber.
H: Dann lass uns doch ein bisschen über’s Summer Breeze Festival reden. Ihr habt wohl eine ganz besondere Beziehung zum Festival?
JR: Ich mag es richtig gerne. Es ist groß, aber nicht zu riesig. Wir haben schon drei Mal da gespielt und hatten immer die selbe Position – um Mitternacht. Genau richtig für Katatonia. Als wir das erste Mal da gespielt haben, bin ich unmittelbar vor der Show aufs Dach des Backstage-Gebäudes geklettert und dann drei Meter tief auf meinen Rücken gefallen. Die Schmerzen hab ich während der Show dann völlig vergessen, hatte aber den ganzen Sommer über immer wieder Schmerzen. Haha. Summer Breeze rules!
H: Ihr habt über die Jahre drei Mal auf dem Breeze gespielt und eure dortige 2006er-Show wurde sogar als Live-CD&DVD-Bundle veröffentlicht. Was ich mich aber schon lange frage, sind zwei Sachen: 1. Warum habt ihr da überhaupt gar keine Songs von “Last Fair Deal Gone Down” gespielt?
JR: Naja, da wir einen engen Zeitplan und noch den Mitschnitt auf dem Schirm hatten, wollten wir nicht auch noch mit zu vielen Instrumentenwechseln kommen, und die meisten Songs auf “Last Fair Deal Gone Down” unterscheiden sich von der Stimmung der Gitarren dann doch vom Tuning des restlichen Materials. Nur deswegen haben wir keine Songs von dem Album gespielt. Das ist unglücklich, aber ab und an muss man eben Kompromisse machen.
H: Und 2. Warum habt ihr den letzten Song auf Eurer Setlist (“My Twin”), nicht gespielt? Rein zeitlich hätte es doch noch langen müssen…
JR: Haha, siehste, aber jemand auf der Bühne hat uns angezeigt, dass wir eben keine Zeit mehr für ’nen weiteren Song haben. Ich glaube man kann das sogar auf der DVD sehen, unser Monitormischer geht ein Stück auf die Bühne und macht das berühmte „Todessignal“ mit seiner Fingern, die den Hals kreuzen. So hab ich das jedenfalls in Erinnerung.
H: Euer letzter Besuch beim Summer Breeze war im August 2009, wie hast du die Show in Erinnerung?
JR: Es war cool und es war vor allem gut, das Studio kurzzeitig zu verlassen und mal wieder richtige Menschen anstatt Kellerwänden im Studio zu sehen!
H: Für mich war’s eine etwas seltsame Show, das erste Mal kam nicht die “magische” Atmosphäre auf, die ich sonst immer bei euren Shows genossen habe…
JR: Hmm, keine Ahnung… Ich hatte ein recht gutes Gefühl während der Show. Aber gerade wenn man lange nicht mehr live gespielt hat, fühlt sich das manchmal etwas anders an. Es ist für mich natürlich schwierig zu sagen, warum du die Show nicht so toll fandest, haha. Ich nehme an, das liegt dann eben im „Ohr“ des Betrachters.
H: Hattest du denn Zeit dir andere Bands beim Festival anzuschauen?
JR: Leider nein, wir haben hier und da Interviews gegeben, aber ich habe während unserer Autogrammstunde immerhin ein Stück von Kreator mitgekriegt.
H: OK. Was geht denn in Sachen Touren?
JR: Wir waren vor kurzem mit Porcupine Tree in Skandinavien unterwegs und immerhin eine Show der Tour war in Deutschland. Gerade haben wir Paradise Lost in England für sieben Shows supported und dabei auch noch vier Headlinerdates eingestreut. Der nächste Schritt sind dann die Planung und die Proben zu unserer Headlinertour in Europa, die wird im März in England starten.
H: Jonas, danke für’s Interview!
JR: Ich danke!
Thomas Jentsch
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Interview: Ausführliches Interview mit Sänger Jonas Renkse. (2006)
Review: The Great Cold Distance, 2006 (tj)
Review: Live Consternation (CD & DVD), 2007 (tj)
Review: Night Is The New Day, 2009 (tj)
Live-Review: 06.04.2010, München - Backstage
Live-Review: 10.05.2014, München - Freiheiz