The Ocean - Heliocentric
Nur zwei Jahre nach ihrem Opus Magnus „Precambrian“ serviert das Künstlerkollektiv um Mastermind Robin Staps sein neues Album. Neu im Team ist mal wieder der Sänger, er hört auf den Namen Loïc Rossetti und ist quasi die Idealbesetzung, denn er ermöglicht der Band noch variabler als auf den ohnehin schon sehr vielseitigen Vorgängeralben vorzugehen. „Heliocentric“ nimmt stilistisch den Stab der Proterozoic-Hälfte des Vorgängers auf, arbeitet nicht gar so offensiv mit Extremen, sondern konzentriert sich auf Songs, die mit allen Farben des Stilistik-Kastens arbeiten und mit teilweise opulenter Orchestrierung arrangiert sind. Harte Momente sind in diesem Kosmos aber keinesfalls ausgeschlossen, sie sind nur etwas weiter in den Hintergrund getreten – man höre etwa „Firmament“, wo der neue Sänger eindrucksvoll beweist, dass er auch derbste Screams im Angebot hat. Aufgenommen wurde der Großteil des Albums wohl in der Abgeschiedenheit der Berge, in der höchstgelegenen Stadt Europas, im schweizerischen La Chaux-de-Fonds. Trotzdem sie nach wie vor mit großer Orchestrierung arbeiten, klingt das alles viel intimer und straighter als auf dem Vorgängeralbum. Etwas verdutzt war ich anfangs über den vierten Song „Ptolemy Was Wrong“, der ist nämlich eine fast schon Elton John-artige Pianoballade, bei der Neusänger Rossetti gelegentlich an U2s Bono erinnert – nach mehrfachem Hören und Abschütteln der fast schon instinktiv und automatisch hochgefahrenen Schutzschilde ist aber auch dieser sechseinhalbminütige Brocken ein echter Gewinn. Der letzte Song „The Origin Of God“ mündet dann sogar in ein tatsächlich wunderschönes Saxophon (sic!)-Solo. Und überhaupt, wo man bei anderen Bands Inhalte abseits der Musik oft mit der Lupe suchen muss, bekommt man bei The Ocean mal wieder massig Stoff für stundenlange Entdeckungsreisen (musikalisch) und auch massig Material fürs Hirn (textlich bzw. vom Konzept her). „Heliocentric“ und das nächste Album „Anthropocentric“, das zum selben Konzept gehört, befassen sich intensiv und kritisch mit dem Christentum – und zwar aus diversen, ob nun philosophischen oder persönlichen, Perspektiven. Erneut außergewöhnlicher, mit enormer Langzeitmotivation versehener Output, der in keine Schublade passt – fan – tas – tisch! (tj)