Die neue Platte von Napalm Death ?The Code Is Red?Long Live The Code? ist wiedermal ein feines Stück extreme Musik und ein guter Anlass Frontschreihals Barney per E-Mail zu interviewen.
Euer neues Album beinhaltet alle eure Stärken und einige neue Aspekte. Wie schafft ihr es nach all den Jahren noch immer frisch zu klingen und euch nicht zu wiederholen?
Wir geben immer unser Bestes um das bestmögliche Album zu machen. Nach all den Jahren der Zusammenarbeit kennen wir uns und unsere Arbeitsweise sehr gut. Es funktioniert einfach. Es steckt da keinen großartiger Plan dahinter, es kommen von Platte zu Platte immer wieder neue Sachen hervor. Das geschieht auf ganz natürliche Art.
Auf dem neuen Album gibt es einige Gastauftritte. Wie sind diese zustande gekommen?
Um ehrlich zu sein war das die Idee von Century Media. Sie haben das als erste Vorgeschlagen. Wir hätten das gar nicht in Erwägung gezogen da es für gewöhnlich einigen Aufwand erfordert die Gäste ins Studio zu bringen, den man nicht gebrauchen kann wenn man versucht sich auf sein eigenes Songwriting zu konzentrieren. Der Auftritt von Jeff Walker war am einfachsten zu organisieren, da er sowieso bei uns im Studio als langjähriger Freund abhing. Jamey war zufällig gerade in der Stadt als Hatebreed mit Slayer und Slipknot auf Tour waren und war mit der Idee einverstanden. Wir kennen ihn noch von unseren Touren in den Staaten als er Naplam Death Shows in seiner Gegend veranstaltete. Jello war der einzige Gast der einiges an Planung erforderte. Wir buchten bei Billy Gould (ex-Faith No More Bassist) ein Studio in San Francisco als wir in den Staaten auf Tour waren. Jello kam dann ins Studio und sang ungefähr fünfzig Takes mit unglaublichem Gesang ein. Ich finde, jeder Gast hat in dem Kontext der Songs die ich ihnen gegeben habe großartige Arbeit geleistet.
Einige der Gastauftritt sind im Mix ziemlich in den Hintergrund gerutscht so dass es manchmal schwer ist zu unterscheiden wer gerade singt. Warum habt ihr das getan?
Das war nicht unsere Absicht. Warum sollten wir Gäste einladen wenn man sie dann in den Hintergrund mischt? Du meinst wahrscheinlich die Vocals von Jeff, das ist mir auch schon aufgefallen. Das war wirklich nur ein Unfall. Sorry, Jeff.
Während eurer Kariere hat der Sound von Napalm Death einige unterschiedliche Phasen durchlaufen. Stimmst du mir da zu und wie würdest du diese Phasen in deinen eigenen Worten beschreiben?
Wir haben diese experimentelle Phase Mitte der Neunziger durchlaufen, aber ich finde nicht, dass sich unser Sound so stark verändert hat wie manche Leute behaupten. Im Kern hatten wir immer dieses ?High-Speed Ding? gemischt mit Punk und Metal. Um diesen Kern haben wir dann immer gern, hoffentlich frische, Ideen gebastelt. Natürlich haben wir das in dieser Periode Mitte der Neunziger ziemlich weit getrieben, das hat auch innerhalb der Band zu Diskussionen geführt. Aber einige von uns wollten damals mal etwas anderes machen da die traditionelle Szene am sterben war.
Im Endeffekt wollten wir aber immer das bestmögliche Album machen. Ein Album das die Leute hören und es sofort als Napalm Death Album identifizieren können. Für mich muss es schnell und roh sein und mit einigen langsameren Parts versehen sein die dich hart treffen.
Wie würdest du euren Sound heute beschrieben?
Als Napalm Death..haha.
Ihr habt vergangenes Jahr das Coveralbum ?Leaders Not Followers II? veröffentlicht. Hatte das einen Einfluss auf das neue Material? Hat es euch inspiriert auf eure Wurzeln zurückzublicken?
Vielleicht hatte es tatsächlich einen Einfluss und wieder für mehr Spontaneität in unserer Musik gesorgt, aber es brauchte uns nicht an unsere Wurzeln zu erinnern da wir diese nie vergessen hatten. Mich persönlich hat es immer gestört wenn einige meiner Lieblingsbands erst großartige Platten machten und dann plötzlich einen völlig anderen Sound machten um ?mit der Zeit zu gehen? oder so. Meine Einflüsse waren schon immer Motörhead, Discharge, Repulsion, Minor Threat, Siege und so weiter. Diese Einflüsse werden sich nie verändern, auch wenn ich versuche neue Ideen einfließen zu lassen.
Da ich nur ein Promoexemplar der neuen Platte bekommen habe und dort keine Texte beiliegen würde ich gern ein bisschen mehr über die Texte erfahren. Kannst du die Texte des folgenden Songs erläutern?
Diplomatic Immunity
Es bezieht sich darauf wie Politiker Entscheidungen treffen können welche die Leben der Menschen abfucken und dann davon laufen als sei nichts gewesen. Ich denke da an Anordnungen die Gewalt beinhalten. Ein Mensch der nicht unter dem Deckmantel der Politik handelt würde dafür ins Gefängnis kommen.
Climate Controllers
Ich stelle mir darunter bildlich jemanden vor, der mühelos die Geschicke der Welt kontrolliert, so wie die Temperatur in einem Gewächshaus. Die Machtfülle die mache Menschen innehaben ist wirklich alarmierend und vielleicht werden die ganzen New World Order Theorien, über die immer gelacht wurde, in der nahen Zukunft wahr.
The Great And The Good
Wenn bestimmte Führer vorgeben unter der moralischen Autorität von Gott zu handeln, ist das eines der besten Beispiele für die Arroganz die in der Welt herrscht. Wenn Gott wirklich existiert und so friedlich und vergebend wäre wie er immer dargestellt wird, würde er dann zusehen wie Leute wie Bush Bomben auf Leute werfen und ein Wirtschaftsimperium aufbauen das den Wohlstand und den Lebenswillen aus den Leuten heraussaugt die weniger Glück hatten? Ich glaube kaum.
Morale
Das ist eine einfache Sammlung von Texten die von der Negtivität die aufkommt wenn man versucht positive Dinge zu tun und sich weiter zu entwickeln. Ich denke das ist einfach eine persönliche Angelegenheit die sich mit Phasen beschäftigt die wir mit Napalm Death hatten.
Our Pain Is Their Power
Hier gibt es keine Texte, es ist nur ein Soundscape, aber der der Titel bezieht sich auf die Ungleichheit zwischen Regierenden und Regierten.
Pledge Yourself To You
Es geht um die Vorschriften die einem gemacht werden wie man mit seinem eigenen Körper einsetzen soll und wie man mit seinen angeborenen Instinkten umgehen soll. Einige dieser christlichen Gruppen die Sex zu einem Tabu machen wollen machen mich verrückt. Es ist einfach: Wenn zwei Menschen sich einig sind und ihre angeborenen Gefühle ausleben wollen, können sie tun was sie wollen. Jederzeit, an jedem Ort ob sie verheiratet sind, zusammen sind, nicht zusammen sind oder was auch immer. So ist es auch mit Abtreibung: Du allein kannst über deinen Körper bestimmen.
Ist es euch wichtig die Leute zum nachdenken zu bringen oder auf gewisse Dinge aufmerksam zu machen?
Es ist auf jeden Fall wichtig, dass die Leute nachdenken. Ob ich sie dazu von dem Standpunkt einer Band aus dazu ermutige oder jemand anders von einer Bewegung oder Organisation. Sie tun sich damit nichts Gutes wenn sie nicht nachdenken und sich nicht gerecht werden, sondern versuchen sich zu verschließen und hoffen, dass die Dinge einfach an ihnen vorüber gehen. Ich will nicht der große Lehrer sein der mit einem Stock Informationen in die Leute prügelt aber ich fühle das Verlangen die Botschaft von Toleranz, Gleichheit und Menschlichkeit zu verbreiten. Es gibt viel Negativität und entzweiende Dinge in der Welt da draußen und, das muss gesagt sein, auch in der Szene extremer Musik.
Ihr bewegt euch als politische Band in einer weitgehend unpolitischen Szene, der Metal Szene. Wie fühlt ihr euch dabei?
Nun gut, ich sehe uns viel mehr als eine humanitäre Band als eine politische Band. Ich denke es gibt einige Bands die unsere Ansichten teilen, auch wenn sie vielleicht mit ihren Texten nicht so weit gehen wie wir. Für mich ist das einfach das Richtige diese Aussagen zu machen, da ich auch in meinem Leben außerhalb der Band versuche nach diesen Texten zu leben. Ich bin nicht perfekt, wer ist das schon, aber ich gebe mein Bestes.
Gab es in letzter Zeit Veränderungen in eurem Publikum? Kommen heute mehr Punk und Hardcore Kids zu euren Shows?
Nein, das Publikum war eigentlich schon immer bunt gemischt, was auch eines der spannenden Dinge an Napalm Death ist. Vielfalt ist definitiv eine gute Sache.
Nach vielen Jahren mit einem stabilen Lineup habt ihr euch von eurem Gitarristen Jesse getrennt. Warum? Wie hat das die Band sowohl musikalisch als auch menschlich beeinflusst?
Jesse hatte schwere Alkoholprobleme obwohl im Endeffekt eher die Dinge die daraus resultierten die Gründe für seinen rausschmiss waren. So was wie sein verschwinden mitten in den Aufnahmen zu ?Order Of The Leech? oder nicht zu Photosessions zu erscheinen. Wir versuchten ihm zu helfen wo wir konnten aber gleichzeitig schien es so als ob er nicht mal sich selbst helfen wollte. Es ist traurig, aber manchmal muss man schmerzhafte Entscheidungen treffen. Persönlich vermisse ich immer jemanden mit dem ich so lange Jahre gearbeitet hatte aber aus musikalischer Sicht war es kein großer Verlust, da er während seinen Problemjahren sowieso nicht viel zum Songwriting beigetragen hatte. Es war also nicht so, dass wir uns erst daran gewöhnen mussten jemanden zu verlieren der einen wichtigen Beitrag zur Band geleistet hatte bevor er ging.
Nachdem ihr damals Earache verlassen hattet, erschien die Platte ?Enemy Of The Music Business?, was damals wohl als Statement aufgefasst werden konnte. Heute habt ihr mit Century Media einen neuen Partner gefunden. Seht ihr euch noch immer als Feinde des Musikgeschäfts?
Wir versuchen immer das richtige nach einer bestimmten Ethik zu tun. Man kann natürlich einen gewissen geschäftlichen Aspekt nicht verleugnen wenn man Platten veröffentlicht oder T-Shirts verkauft. Man kann diese Dinge aber tun ohne auf schmutzige Geschäftspraktiken zurück zu greifen. Darauf versuchen wir zu achten. Wie schon gesagt, es ist schwer perfekt zu sein aber ich glaube, dass wir eine Band mit Integrität sind.
Jemand hat mal gesagt, dass eure Split 7? mit Electro Hippies das großartigste Punk Statement jemals war. Was denkst du darüber?
Das wusste ich gar nicht und es schmeichelt mir natürlich aber klingt natürlich auch etwas übertrieben. Ich finde die Single war eine gute Art um die allgemeine Auffassung darüber nach welchen Formeln Musik gemacht werden soll in Frage zu stellen. Außerdem war es sehr spaßig. Wer kann überhaupt sagen was die Definition von Punk ist? Für mich heißt das einfach sein eigenes Ding durchzuziehen ohne andere übers Ohr zu hauen.
Ihr macht die Band nun seit über 20 Jahren, was treibt euch nach all dieser Zeit immer noch an? Warum noch immer auf einem solchen Aggressionslevel? Ist es noch immer ein Ventil wie es das als Kid war?
Vor allem ist es wahrscheinlich unsere Entschlossenheit uns die Band nicht von jemandem kaputt machen zu lassen. Es gab schwierige Zeiten aber so lange wir glauben, dass wir als Band noch immer interessante und durchgedrehte Musik mir provokanten Texten machen können machen wir weiter damit. Ich bin noch immer ganz aufgeregt wenn wir im Studio sind, also muss es wohl gut sein. Außerdem amüsiert es mich noch immer den irritierten Blick in den Gesichtern der Leute zu sehen die Napalm Death zum ersten Mal hören. Die Sache mit dem Ventil war für mich nie so wichtig, da ich vor Napalm Death schon in andere Bands involviert war die versuchten das selbe zu erreichen.
Die meisten Mitglieder von Napalm Death haben auch andere Projekte am Start. Welchen Effekt hat das auf die Band?
Im Grunde gar keinen. Solange jeder für Napalm Death tut was zu tun ist, kann er mit seiner restlichen Zeit anfangen was er will. Das hat einen positiven Effekt. Wenn jemand woanders etwas leicht anderes macht als Napalm Death hilft das sich später wieder besser auf Napalm Death konzentrieren zu können.
Was sind momentan deine Lieblingsbands?
Das Oath, Nasum, Dillinger Escape Plan, Impaled, Exhumed, 324, Nightmare ( Japan ).
Hast du noch abschließende Worte?
Danke dass du dir die Zeit nimmst und die Mühe machst über Napalm Death zu schreiben. Danke an alle, die das Helldriver Magazine lesen für die Unterstützung und an alle die uns ein Ohr leihen. Cheers!
Das Interview wurde von Rolf Gehring geführt.
Dieser Artikel wurde 1251 mal gelesen
Download: Riot Of Violence, MP3
Interview: Ausführliches Interview mit Bassist Shane zu "Smear Campaign" (2007)
Interview: Interview mit Frontmann Barney zu "Time Waits For No Slave" (2009)
Review: Leaders Not Followers: Pt. 2, 2004 (rg)
Review: The Code Is Red…Long Live The Code, 2005 (rg)
Review: Smear Campaign, 2006 (rg)
Review: Time Waits For No Slave, 2009 (rg)
Review: Utilitarian, 2012 (rg)
Review: Apex Predator – Easy Meat, 2015 (rg)
Live-Review: 16.12.2001, Wil - Remise