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    Dave Hause

 

Napalm Death sind seit über 20 Jahren eine feste Größe im Bereich extremer Musik. Ihr neues Album „Time Waits Fo No Slave“ dürfte die hohen Erwartungen der Fans noch übertreffen. Ich unterhielt mich mit dem sehr gesprächigen und gut aufgelegten Frontmann Mark „Barney“ Greenway über das neue Album und sein textliches Konzept.  

Bevor wir richtig loslegen muss ich dir sagen, dass ich wirklich ein Fan der neuen Platte bin. Sie hat mich wirklich umgehauen. Sie klingt sehr frisch.

Vielen Dank. Hoffentlich ist sie eine gute Kombination aus dem traditionellen Napalm Death Sound und neuen Sachen. Die Platte ist aber immer noch als eine typische Napalm Death Platte erkennbar.

Was ist denn der traditionelle Napalm Death Sound? Ihr habt euch schließlich auf fast jedem Album verändert.

Na ja, ich habe irgendwann begonnen diesen Begriff sehr lose zu benutzen. Die offensichtlichen Dinge sind die Geschwindigkeit, die Energie und die Spontanität. Diese Dinge.

Jede eurer Platten hat einen sehr eigenen Charme.

Ja stimmt, das ist eigentlich eine schwierige Sache. Aber es ist auch nichts was wir jemals geplant haben. Wir haben uns nie gesagt, dass wir auf dem neuen Album so oder so klingen müssen um uns von dem Vorgänger zu unterscheiden. Das passiert einfach irgendwie.

Ihr habt da einen sehr guten Weg gefunden, typisch nach Napalm Death zu klingen und euch gleichzeitig immer weiter zu entwickeln. Wenn man beispielsweise ein Album wie „Diatribes“ mit dem neuen Material vergleicht, klingt das sehr anders.

Ja, auf jeden Fall. Eine Sache die ich immer sehr gemocht habe an Napalm Death ist unsere Spontanität. Wir mögen es aber nicht unsere Platten zu planen. Das würde sonst auch kalkuliert klingen. Es kann passieren, dass wir ins Studio gehen und ein Song plötzlich ganz neue Charakteristiken bekommt. Das ist eine gute Sache und auch etwas was wir bewusst wollen. Natürlich bereiten wir uns auf das Studio vor und schreiben die Songs schon im Vorfeld. Aber manchmal bekommen die Dinge ein Eigenleben sobald man im Studio ist und die Songs auf Band hat. 

Wie entstehen dann eure Songs?

Na ja, der rein mechanische Prozess ist wohl sehr ähnlich wie bei anderen Bands. Mitch und Shane haben ihre eigenen Ideen, was meist schon komplette Songs oder zumindest drei Akkorde eines Songs sind. Sie arbeiten zusammen an diesen Ideen und zeigen sie schließlich mir. Ich nehme dann meine Ideen die ich für Texte habe. Ich habe immer vieles herumliegen, entweder auf Zetteln oder am Computer oder auch auf dem Telefon. Ich versuche dann diese Texte in die Songs zu packen. Das ist ein sehr traditioneller Ansatz würde ich sagen.

Und woher kommt die Spontaneität?

Das passiert sowohl bei Proben oder auch im Studio. Es passiert dann einfach irgendetwas was dem Song noch gefehlt hat.

Gab es schon mal die Situation, dass ihr im Nachhinein eine spontane Änderung am liebsten wieder rückgängig gemacht hättet?

Nein, absolut nicht. Sogar wenn man danach nicht mehr 100%ig damit zufrieden ist, war es zumindest eine natürliche Sache. Das ist mir dann immer noch lieber. 

Was inspiriert dich für Texte?

Ich inspiriere mich selbst. Das ist einfach Zeug das aus mir heraus kommt. Versteh mich nicht falsch. Ich lese sehr viel, ich kann nie genug gedrucktes Material bekommen. Ich liebe es zu lesen, das stimuliert mich. Ich lese Bücher über soziologische Themen oder Bücher von Freidenkern und alles mögliche andere Zeug. Obwohl ich oft einer Meinung mit den Autoren bin, bedeutet das nicht, dass ich die Autoren und ihre Gedanken einfach übernehme. Ich mache mir meine eigenen Gedanken und arbeite an ihnen. Die sind dann die Grundlage für die Texte.

Was sind die besten Bücher die du in letzter Zeit gelesen hast?

Eines der besten Bücher das ich in letzter Zeit gelesen habe war „The Story of B“ von Daniel Quinn. Das ist ein fiktionales Buch. Die Geschichte eines Typs der versucht zu beweisen, dass der Anti-Christ nicht existiert. Daraus wäre abzuleiten, dass auch Christus nicht existiert. Das ist die Idee, ich kann es eigentlich gar nicht weiter erklären. Es ist ein sehr komplexes Buch. Ein anderes Buch welches ich gelesen habe war ein Geschichtsbuch über Josef Stalin. Es ging um die Dinge die man normalerweise nicht über ihn lesen kann. Man weiß viel von den historischen Fakten, aber wenig darüber was wirklich in seinem Kopf vor sich ging. Es basiert auf den Erzählungen von Leuten die ihn umgeben haben. Diese Leute lebten in permanenter Angst um ihr Leben. Weil man nie wusste, ob Stalin sich nicht grundlos umdrehte und sie des Verrats bezichtigte und exekutieren ließen. So waren Leute wie Stalin oder Hitler. Es ist ein sehr faszinierendes Buch von einem britischen Historiker. Es heißt „Der junge Stalin“ von Simon Sebag Montefiore.

Vielleicht solltest du eine Leseliste auf eurem nächsten Album veröffentlichen.

Das wäre vielleicht etwas anmaßend. Ich weiß nicht. Aber ich denke mal drüber nach.

Manche Bands tun das. Es hilft den Hörern mehr über die Themen in den Texten zu erfahren.

Ja, du hast recht. Das ist wirklich keine schlechte Idee.

Gibt es ein lyrisches Konzept für das neue Album?

Ja. Es ist ein sehr einfaches. Aber es ist ein Konzept von dem ich dachte es benötigt mehr Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich hat da jeder schon mal drüber nachgedacht. Es ist doch so, dass wir den Großteil unseres Lebens aus verschiedenen Gründen in Sklaverei verbringen. Sei es jetzt auf der Arbeit oder auch anderweitig. Es mag sein, dass man so konditioniert wurde, dass man das braucht um ein erfülltes Leben zu führen. Es mag aber auch sein, dass man es tut um Statussymbole anzuhäufen. Letzteres ist in meinen Augen eine sehr oberflächliche Sache. Ich selbst vermeide das, aber die Leute tun es offensichtlich. Ich sehe mich selbst definitiv in der ersten Kategorie. Wir sollten alle einen Schritt zurück machen und die einfacheren Dinge im Leben mehr genießen in der relativ kurzen Zeit die wir auf der Erde sind. Ich finde, es gibt diese Gefahr, dass man sein ganzes Leben mit nichts anderem als Arbeit verbringt und man schließlich an einem Punkt angelangt wo man das Leben selbst nicht mehr genießen kann. Man hat dann völlig vergessen einmal in einem Park zu sitzen und für eine Stunde einfach mal der Welt nur zuzusehen. Darüber gibt es viel zu sagen. Wie können wir die komplexen Dinge des Lebens verstehen, wenn wir nicht einmal die einfachen zu schätzen wissen.

Wie versuchst du das selbst umzusetzen?

Es mir natürlich klar, dass ich selbst auch Teil davon bin. Das ist nicht nur eine Beobachtung an anderen Leuten. Mich selbst betrifft das ebenso. Mir war es nie wichtig mit anderen Leuten um Statussymbole zu konkurrieren. Verhaltensweisen der Art „Wenn mein Nachbar ein neues Auto hat, brauche ich auch eins, sogar ein besseres“, habe ich nie angenommen. Aber auch ich tue mich schwer auch die einfachen Dinge des Lebens zu genießen. Ich gehe viel zu selten an die Küste um dort einfach mal herum zu laufen, die Natur zu genießen und für ein paar Stunden am Strand zu sitzen und nachzudenken. Das ist eine tolle Sache, die ich nicht oft genug mache. Aber zumindest ist es mir bewusst und ich versuche daran zu arbeiten.

Das ist also das Konzept der Platte?

 Ja, aber es gibt natürlich auch ein paar andere Dinge. Das Konzept verzweigt auch in andere Themen wie beispielsweise das herausfordern von Konventionen. Ich nehme Dinge welche die Leute als selbstverständlich ansehen wie die Ehe oder persönlicher religiöser Glaube. Letzteres aber nicht so wie beim letzten Album, bei dem es um die Grundlagen von organisierten Religionen ging. Dieses Mal spielt sich das eher auf einer persönlichen Ebene ab, die ich versuche herauszufordern. Und auch andere Dinge die man als selbstverständlich ansieht und die eine etwas genauere Betrachtung benötigen. Ich kann als Beispiel mal die Sache mit der Ehe erklären. Ich glaube, dass die Ehe von der moralischen Elite auf eine Art als Geisel genommen wurde, also von Leuten mit fundamentalistischen religiösen Ansichten. Sie sagen die Ehe sei heilig und dass man eine heilige Verbindung nicht lösen darf. Aber das ist sie nicht. Dieser Gedanke basiert lediglich auf einem fiktiven Buch, das  durch keinerlei Fakten belegt ist. Wie kann man etwas, das den Großteil des Lebens der Menschen bestimmt auf reiner Fiktion basieren lassen? Ich denke das ist lächerlich. Wann immer eine Ehe scheitert werden die Leute stigmatisiert und es gibt diese große Welle der Enttäuschung und Entrüstung. Wenn ein Paar nach der Heirat erkennt, dass es besser ist wenn sie sich trennen, dann ist das einfach so. Das ist einfach eine von vielen Entscheidungen im Leben. Es ist nichts wofür man sich in dieser Weise aufregen muss. Es ist nicht das Ende der Welt. Sowas passiert einfach. Es ist auch ein Lernprozess. Das geht niemanden außerhalb dieser Ehe etwas an. Niemand darf darüber urteilen. Es ist allein die Angelegenheit dieser beiden Leute. Wenn die Ehe wirklich ein Leben lang hält, dann einfach weil es für dieses Paar funktioniert hat. Es hat so funktioniert wie sie entschieden haben, dass es funktionieren soll. Niemand anderes geht das etwas an. Das ist mein Punkt auf diesem Album. Dass man diesen Leuten sagen muss, dass es sie nichts angeht. Wenn Leute eine solche Verbindung eingehen ist es allein deren Angelegenheit. Ich bin nicht gegen die Ehe an sich. Aber niemand sollte vorschreiben wie sie gelebt wird. In unserer Gesellschaft kommt immer wieder die Diskussion über Familienwerte auf. Man bekommt immer wieder den Eindruck, dass Leute die keine Frau und zwei Kinder haben weniger wert sind. Oder man ist weniger wert weil man eine homosexuelle Beziehung führt. Fuck you. Das geht niemanden etwas an wie man seine Beziehung lebt. Oder es ist eine Beziehung vorstellbar in der die Partner auch Sex mit anderen haben. Solange die Beziehung ehrlich ist und es für sie funktioniert ist das absolut in Ordnung und niemand hat das Recht darüber zu urteilen.

Es ist dir insgesamt sehr wichtig Texte mit einer Aussage zu haben.

Ja, es ist mir sehr wichtig zu erklären, dass die Menschen ihre Rechte haben. Auch im Kontext der gerade angesprochenen Dinge. Das alles sind sehr grundlegende Mechanismen im Leben über die allein wir die Kontrolle haben. Die Tatsache, dass es Leute gibt die versuchen das zu manipulieren, macht es wichtig darüber zu sprechen. Die meisten dieser Manipulationsversuche basieren auf einer religiösen oder quasi-religiösen Theorie. Diese rein fiktionalen Dinge haben in der wirklichen Welt nichts zu suchen.

Hast du den Eindruck, dass eure Fans die Themen über die ihr redet auch verstehen und sich darüber Gedanken machen?

Das hoffe ich zumindest. Ich mach zumindest immer alles sehr klar. Wenn du mich kennst, weißt du, dass ich mich nie zurückhalte Fragen zu beantworten. Ich hab die Schnauze voll davon, dass die Leute die Wahrheit nicht kennen. Ich erwarte sicherlich nicht, dass die Leute immer mit mir einer Meinung sind. Was ich aber hoffe ist, dass die Leute ihren Geist erweitern und ihre eigenen Antworten suchen. Die Menschen sind ein sehr komplexer Organismus und haben die Fähigkeit nachzudenken. Man sollte diese Fähigkeit auch nutzen und so vielleicht ein erfüllteres Leben zu führen.  Das ist es was ich von den Leuten erwarte. Ich bin nie müde über diese Themen sprechen. Die Kids können das gar nicht übersehen. Manche Kids entscheiden sich dazu uns zuzuhören, andere nicht. Das ist auch etwas wozu ich niemanden zwingen kann. Ich möchte die Leute aber dazu anregen ihren Geist zu öffnen. Ob es jetzt für Napalm Death oder für etwas anderes ist, ist dabei egal. Es gibt fundamentale Dinge im Leben die manchmal schwer zu verstehen sind und worum sich viele nicht kümmern weil sie Angst vor der Wahrheit haben.

Sprichst du auch live über die diese Themen?

Ja, ich versuche immer klarzustellen was mir in dem Moment wichtig ist. Aber ich mache das nicht zwischen jedem Song. Sonst besteht die Gefahr, dass ich den ganzen Abend nur plappere. Im Endeffekt geht es aber bei Shows auch um die Musik. Die ganze Sache soll schließlich auch Spaß machen. Ich will nicht den ganzen Abend labern und die Leute langweilen. Ich würde das aber mal sehr gerne in einem Spoken-Word Auftritt machen. Das werde ich in der Zukunft vielleicht machen.

Das wäre sicher sehr interessant.

Ja, das würde mir sicherlich auch sehr viel Spaß machen. Aber ich möchte das dann gut vorbereiten. Ich bräuchte dazu etwas Zeit. Ich habe auch schon zuvor in meiner Funktion als Gewerkschaftsfunktionär öffentlich gesprochen. Aber Spoken-Word ist etwas völlig anderes. Es muss auch unterhaltsam sein. Ansonsten wäre es langweilig. Wenn ich auf eine Spoken-Word Veranstaltung gehe und der Typ dann nur stur über sein Thema referiert ist es ganz egal wie sehr ich mit ihm einer Meinung bin, es wäre einfach nicht gut.  Ich bin ein großer Fan von Jello Biafras Vorstellungen.

Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Ich glaube du könntest das sowohl unterhaltsam als auch intelligent machen.

Vielleicht, wie gesagt ich müsste mich gut vorbereiten. Was ich auf keinen Fall will, ist aber dass daraus so eine Art Intelligenzfest wird. Darum geht es nicht. Es gibt einen Unterschied zwischen Intelligenz und die Augen auf zu machen. Intelligenz kann manchmal etwas elitär sein. Schaut mich an, ich bin intelligent und diese Person ist es nicht aus diesem und jenem Grund. Darum geht es nicht. Es geht um den Willen die Augen und seinen Geist zu öffnen.

Wie war es für dich als ihr in den Neunzigern eher als Teil der Death Metal Szene gehandelt wurdet und viel mit Death-Metal Bands unterwegs war.

Na ja, ich will darüber jetzt nicht negativ reden. Aber dass wir uns so viel in diesem Umfeld bewegt haben ging nie von uns aus. Das ist einfach passiert. Versteh mich nicht falsch, wie jeder weiß, hat unser Sound sehr viel Einfluss aus dem Death-Metal. Definitiv aus den frühen 90ern, Bands wie Death oder Celtic Frost waren großartig. Wir sind damals mit diesem Genre groß geworden und das war auch in Ordnung so. Es machte sehr viel Spaß diese Shows zu spielen und so auch diese Leute zu erreichen. Aber wenn man zu sehr in eine Schublade gesteckt wird, limitiert das einen auch. Es ist schön, dass die Leute heute scheinbar ein besseres Verständnis für Napalm Death haben und wissen, dass wir auch Einflüsse aus Punk, Hardcore und Alternative vereinen. Aber um ehrlich zu sein beschäftigt mich das nicht besonders. Man kann sich ewig im Kreis drehen dieser oder jener Szene zu gefallen. Es gibt immer Leute die sich beschweren und Szenen die einen für sich beanspruchen. Mir ist das egal. Wir sind einfach Napalm Death und tun was wir wollen.

Ihr seid damals wohl auch zu sehr in diese Ecke gestellt worden weil es nichts vergleichbares gab wo ihr hinein gepasst hättet.

Zu einem Teil sind wir auch selbst schuld. Wir haben „Harmony Corruption“ im Morrissound Studio aufgenommen, was damals der Mittelpunkt der Death Metal Szene war.  Wir mochten das Studio, wollten aber unseren eigenen Sound bekommen. Das hat leider nicht so wirklich geklappt. Es hatte einen sehr Death-Metal lastigen Sound. Das war eine wichtige Erfahrung für uns. Darum sind wir so direkt in der Death Metal Szene aufgegangen. Und natürlich hatten wir auf Fotos immer T-Shirts von irgendwelchen Death-Metal Bands an. So war es also naheliegend uns in diese Schublade zu stecken. Aber wenn man sich die Texte auf dem Album anschaut, stellt man fest, dass das keine wirklichen Death-Metal Texte sind.

Darauf wollte ich hinaus. Ihr ward damals schon sehr politisch in einer eher unpolitischen Szene.

Ja, das stimmt. Aber nicht auf lange Sicht. Aber lass uns mal über dieses Wort „politisch“ reden. Das Wort ist sehr missverständlich. Wenn man zu jemandem „Politik“ sagt, dann wird sofort eine Diskussion über George Bush, Tony Blair, Irak und Afghanistan begonnen. Wenn man die großen Player der Politik nimmt und sie neben Napalm Death stellt liegen natürlich Welten dazwischen. Das ist billig. Ich ziehe es vor, uns als eine vernünftige Band die einen humanitären Hintergrund hat zu bezeichnen. Das ist zwar ein komplexer Satz im Vergleich dazu einfach „politisch“ zu sagen. „Politik“ kann manchmal ein echtes Stigma sein und es verschreckt die Leute auch. Wenn man versucht etwas auszusagen, spürt man direkt eine Barriere. Es ist mir wichtig das klar zu machen.

Eine humanitäre Band namens Napalm Death.

Ja, das ist das Paradox. Das ist doch toll. Obwohl der Name Napalm Death ziemlich fies klingt, ist es doch ein Symbol für ein Anti-Kriegs Statement. Das ist was es ist, Napalm Death ist ein Anti-Kriegs Statement.

Es scheint so, dass extreme Musik heute sehr populär ist.

Ja, das scheint so zu sein.

Glaubst du, sie hat ihre Schockwirkung verloren?

Hatte sie das jemals? Oder ist Schockwirkung vielleicht sogar auf eine Weise unecht? Ich weiß es nicht. Das sind eher rhetorische Fragen. Ich sage mal soviel. Extreme Bands kommen und gehen, ich habe ganze Szenen kommen und gehen sehen. Aber am Ende ist doch das was eine Szene macht, eben das was sie macht. Da kann niemand sagen sie dürfe sich nicht in eine Richtung entwickeln weil man selbst etwas anderes will. Das ist nicht konstruktiv. Es sind die Leute in den Bands die den Sound gestalten. Es sind die nachfolgenden Bands die einen Stil neu prägen. Nur so kann es sich entwickeln. Wenn die Leute es mögen ist das in Ordnung, wenn nicht ist es das aber auch. Ich persönlich bin nicht dafür verantwortlich wie sich eine Szene entwickelt. Auch wenn wir ein Teil davon sind, oder vielleicht sogar die bekannteste Band der Szene. Dennoch sind wir insgesamt nur ein winziger Teil davon. Ich trage hier keine Fahne für die Szene, das will ich auch nicht.

Es scheint, dass jeder in Napalm Death ein Nebenprojekt hat. Außer dir. Warum?

Ja, das stimmt. Dafür gibt es einen einfachen Grund. Ich habe einfach genug zu tun. Ich mach viele von den Dingen im Hintergrund welche die Struktur der Band ausmachen. Das wissen viele Leute nicht. Wir haben natürlich einen Manager, aber es gibt viele Dinge die ich selbst in die Hand nehme und nicht er. Das ist auch gut so. Denn so behalten wir die Kontrolle und wissen was vor sich geht. Einer unserer größten Fehler war es, zu viel aus der Hand zu geben. Wenn man nicht mehr weiß was vor sich geht, geht es sicher schief. Das passiert uns nicht mehr. Wir sind relativ unabhängig. Das beansprucht natürlich viel Zeit und ich habe keine Motivation mehr darüber hinaus noch andere Bands zu machen. Neben Napalm Death mache ich noch einige ehrenamtliche Tätigkeiten. Ich führe ein sehr erfülltes und abwechslungsreiches Leben. Ich wünschte natürlich ich hätte mehr Zeit für die Dinge über die wir am Anfang des Interviews gesprochen haben. Aber es gibt einfach viel zu tun.

Wo engagierst du dich ehrenamtlich?

Ich arbeite für eine Gewerkschaft welche die Rechte von Musikern vertritt. Ich helfe den Leuten dabei nicht verarscht und ausgenutzt zu werden. Musiker sind wie jeder andere und genauso anfällig gegenüber Ausbeutung. Ich kenne Leute, die komplett ruiniert worden sind von irgendwelchen Arschlöchern im Musikgeschäft. Ich versuche da zu helfen. Das ist ein recht heftiger Job, aber es macht mir Spaß den Leuten zu helfen.

Sind auch andere Musiker in der Gewerkschaft engagiert?

Ja, im Grunde sind es nur Musiker die sich dort engagieren. Wir haben viele Mitglieder. Gewerkschaften wie diese gibt es sicherlich auch in Deutschland. Der Bassist von The Dammned ist beispielsweise auch dabei.

Kann ich fragen wie alt du bist?

Ich bin jetzt 39, ich werde nächstes Jahr 40.

Wenn ich mit meinen 29 Jahren auf eine Show gehe bin ich damit oft schon einer der ältesten. Wie ist das für dich?

Alter war für mich nie ein Faktor. Ich mein das absolut ernst. Wenn man in seinem Leben etwas tun will spielt das Altern keine Rolle. Ich spüre mein Alter auch nicht. Wenn wir heute auftreten tun wir dasselbe was wir vor 15 Jahren gemacht haben. Das Energielevel ist noch genauso. Das ist für mich auch der Beweis. In der Gesellschaft gibt es viele Altersklassen. Man unterschätzt oft ältere Menschen. Man kann immer alles machen. Das Album was wir heute gemacht haben hätten wir mit denselben Ergebnissen auch vor 15 Jahren machen können.

Du fühlst dich also nicht irgendwie entfremdet von den Kids?

Nein. Die Kids in der ersten Reihe sind oft nicht älter als 13 oder 15. Bei unserer letzten Show in London waren viele wirklich junge Kids im Publikum. Sie schienen Spaß an der Band zu haben. Sie sehen nur wie wir auf der Bühne abgehen. Alter bildet da keine Barriere.

Du fühlst dich diesen Kids immer noch verbunden?

Ja, absolut. Ich bin der letzte der sagen wird „Ich verstehe die Jugend heutzutage nicht mehr.“ Die Kids müssen heute viel durchmachen. Hier in England herrscht eine seltsam negative Stimmung gegenüber jüngeren. Das halte ich für einen sehr ungesunden Umgang.

Was ist dein Lieblingsalbum von Napalm Death?

Ich kann dir nicht ein einzelnes nennen. Aber ich kann dir eine Handvoll geben. „Scum“ und „From Enslavement To Obliteration“ auf jeden Fall. Ich war an beiden zwar nicht beteiligt aber es sind einfach Meilensteine des Grindcores. „Utopia Banished“ auf jeden Fall, weil es ein Album war, dessen Entstehung sehr viel Spaß machte. Dann sicherlich „Enemies Of The Music Business“ weil wir uns damals mit der Band an einem kritischen Punkt befanden. Es markiert eine große Veränderung für uns und brachte frischen Wind in die Band. Und schließlich „Smear Campaign“. Es ist von den letzten drei Alben, die wir bei Century Media rausgebracht haben, das stärkste. Ich liebe diese Platte. Hoffentlich werde ich dasselbe in Zukunft auch über das neue Album sagen können. Im Moment ist es noch frisch aber ich finde es sehr stark.

Vielen Dank für das tolle Interview, Barney. Hast du noch letzte Worte?

Ich muss mich einfach bei den Fans bedanken. Ohne die Fans und Freunde die wir über die Jahre gewonnen haben wären wir heute sicherlich nicht mehr eine Band.

Rolf Gehring

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Download: Riot Of Violence, MP3
Interview: Email Interview mit Shouter Barney zum aktuellen Album. (2005)
Interview: Ausführliches Interview mit Bassist Shane zu "Smear Campaign" (2007)
Review: Leaders Not Followers: Pt. 2, 2004 (rg)
Review: The Code Is Red…Long Live The Code, 2005 (rg)
Review: Smear Campaign, 2006 (rg)
Review: Time Waits For No Slave, 2009 (rg)
Review: Utilitarian, 2012 (rg)
Review: Apex Predator – Easy Meat, 2015 (rg)
Live-Review: 16.12.2001, Wil - Remise