Heaven Shall Burn gehören ohne Zweifel zu der Speerspitze in Sachen Metalcore. Ihr neues Album ?Deaf To Our Prayers? zeigt die Band noch gereifter und stärker als je zuvor. Ich führte mit Drummer Matthias folgendes Email Interview.
Wie würdest du selbst das neue Album im Vergleich zu ?Antigone? beschrieben?
Ich denke, dass es insgesamt vielleicht weniger Melodien und Harmonien hat, die einem gleich beim ersten Hören ins Gesicht springen. Man kann auch sagen, dass das Album eher als Ganzes zu betrachten ist und es weniger Songs gibt, die sich von den anderen Tracks abheben. Das Tempo wurde auch wieder etwas angezogen. Insgesamt glaube ich aber nicht, dass ?Deaf To Our Prayers? großartig anders ist als ?Antigone?. Stilistisch hat sich im Grunde nicht viel verändert, nur bei der Ausführung haben wir auf andere Dinge wert gelegt und ein paar Details verändert, die uns auf der ?Antigone? nach einiger Zeit nicht mehr so gefallen haben.
Ihr scheint wieder ein Stück vom typischen Metalcore abgerückt hin zum traditionellem (Death-)Metal. Wie ist es zu dieser Entwicklung gekommen?
Ach naja, das ist eh alles eine Glaubensfrage. Ich glaube nicht, dass wir Elemente verwendet haben, die vorher bei uns noch nicht da waren. Die Songs sind einfach so entstanden und die Entwicklung bzw. Veränderung war wohl eher unbewusst. Wir wurden schon immer von den verschiedensten Bands beeinflusst und so war es auch diesmal wieder. Für den Hörer verschiebt sich das dann einmal in Richtung Death Metal und beim nächsten mal in Richtung Hardcore oder Metalcore. Ich glaube, dass wir uns da die wenigsten Gedanken machen. Wir spielen einfach das, was uns in den Kopf kommt und gut ist. Es wird ja auch immer wieder heftig diskutiert, ob es nun Death Metal oder doch Metalcore ist, aber, meiner Meinung nach, zeigt diese Diskussion nur, wie unnötig und irreführend diese ganzen Genrebezeichnungen eigentlich sind. Ich tue mich auch schwer unsere eigene Musik einzuordnen. Nicht weil ich uns für wahnsinnig originell halte, sondern einfach, weil es totaler Quatsch ist, eine Band in eine bestimmte Schublade zu stecken.
Ihr habt das neue Album wieder im Rape Of Harmonies aufgenommen. Stand es für euch jemals zur Debatte in einem anderen Studio aufzunehmen?
Nö, überhaupt nicht. Wir waren und sind mit dem Rape Of Harmonies immer überaus zufrieden gewesen und haben deswegen auch nie einen Grund gesehen, das zu ändern. Wir können dort auch ganz anders arbeiten, als irgendwo anders, wo wir uns dann für eine bestimmte Zeit einmieten müssten. Das ROH ist auch nur gut eine dreiviertel Stunde von unserem Proberaum entfernt und wir können uns die Zeit dort so einteilen, wie es gerade passt und müssen nicht hetzen. Hauptgrund ist aber schon die Arbeitsweise dort. Diese kommt uns sehr entgegen und auch andere Bands, die dort aufnehmen, kommen immer wieder gern zurück.
Für das abmischen seid ihr nach Dänemark zu Jacob Hansen gegangen. Warum nicht wieder zu Tue Madsen?
Wir haben im Vorfeld der Platte einen Song aufgenommen und ihn mal von verschiedenen Leuten Testmixen lassen. Jakob's Mix hat uns da schon sehr gefallen. Das Ergebnis bestätigt auch unsere Wahl, denke ich. Wir hätten auch gerne wieder bei Tue gemixt, aber er war zu der Zeit mit The Haunted beschäftigt. Man hätte zwar warten können, aber der Testmix von Jakob gefiel uns auch so gut, dass wir es einfach mal probieren wollten.
Ihr habt im letzten Jahr für eure Verhältnisse sehr viel getourt. Wie war es für euch und hättet ihr gern noch mehr getourt?
So sonderlich viel sind wir gar nicht getourt. Seit 2004 ?Antigone? erschienen war, haben wir zwei dreiwöchige Touren absolviert und ansonsten eigentlich nur Shows an Wochenenden gespielt. Die Touren haben schon Spaß gemacht, aber wir waren auch froh, wieder zuhause zu sein. Das Leben im Bus ist ja doch eine relativ stumpfe Angelegenheit. Ich glaube sowieso, dass wir nicht so die geborenen ?Mucker? sind. Mehr kurze Touren wären sicherlich cool, aber das ist bei uns aufgrund von anderen Verpflichtungen einfach nicht machbar.
Euer Gitarrist Patrick hat euch verlassen. Warum und wie hat der neue Gitarrist Alexander zum Album beigetragen?
Bei Patrick kam der Punkt, an dem er kurz vorm Abschluss seines Studiums stand und einfach nicht mehr die Zeit für eine Band wie HSB hatte. Wie schon gesagt, wir sind keine dauerhaft tourende Band, aber wir haben mittlerweile halt schon auch den Status, aus dem sich ein paar Verpflichtungen ergeben. Patrick packt halt Dinge lieber 100%ig an und Studium und Band auf Sparflamme kam für ihn einfach nicht in Frage. Das haben wir auch so akzeptiert, obwohl es natürlich schon ein ziemlicher Einschnitt ist, wenn jemand nach fast 8 Jahren die Band verlässt. Alex hat sich dann trotzdem sehr schnell in die Band integriert. Wir kannten ihn ja auch schon einige Jahre und somit ging es dann alles sehr problemlos von statten. Alex hat sich jetzt vor allem bei der Produktion eingebracht, weil er ja auch im Rape Of Harmonies arbeitet und damit schon einiges an Erfahrung bei der Studioarbeit hat. Er brachte aber auch viele Ideen, wenn es um Melodien oder Harmonien ging. Das hat sich alles wunderbar zusammengefügt.
Wofür steht der Titel ?Deaf To Our Prayers??
Der Titel ?Deaf To Our Prayers? ist einer Textzeile der englischen Übersetzung der ?SchlesischenWeber?(Heinrich Heine) übernommen. Dort heißt es ?Cursed be the god who was deaf to our prayers?. Es geht dabei um die Industrielle Revolution im 19. Jahrhundert und die, damit einhergehende Ausbeutung/ Unterdrückung/ Verarmung der Bevölkerungsteile, die in den Fabriken arbeiten mussten. Viele Menschen fanden in der damaligen Zeit einen letzten Halt im Glauben an Gott und baten ihn in ihren Gebeten um Hilfe in ihrer miserablen Lage. Die Gebete brachten aber, bekanntermaßen, keine Besserung.
In euren Texten behandelt ihr wieder eine Reihe von geschichtlichen Themen. Greift ihr bewusst auf die Geschichte zurück um auch heute relevante Themen zur Sprache zu bringen?
Ja, sicher. Man kann durchaus Schlüsse von historischen Entwicklungen auf das aktuelle Geschehen ziehen. Wenn man beispielsweise die damalige Situation mit der heutigen Lage vergleicht, so fallen da schon einige Gemeinsamkeiten auf. Ich meine das weniger in Bezug auf die Situation, hier in Mitteleuropa, sondern eher auf die Situation in Mittel- und Südamerika oder auch Asien oder Afrika. Hier in Europa gibt es auch schon Tendenzen, aber es ist noch lange nicht so ausgeprägt, woanders. Ansonsten greift man natürlich auch gerne mal historische Fakten auf, weil diese generell unumstößlich sind. Bei einer einfachen Stellungnahme zu aktuellen Ereignissen kann man auch mal leicht daneben liegen und man ärgert sich am Ende nur, dass man einer Lüge aufgesessen ist und in eine falsche Richtung argumentiert hat. Bei Dingen aus der Geschichte, kann man seine Aussage, in der Regel, an ?Fakten? festmachen, die den Test der Zeit schon bestanden haben.
Kannst du kurz die Texte zu einigen Songs erläutern?
Das halte ich für keine gute Idee, da uns die Texte für so was zu wichtig sind. Klingt vielleicht seltsam, aber es ist einfach so, dass man mit zu vielen Erläuterungen den Leuten das Denken abnimmt. Vor allem wenn die Platte gerade erst veröffentlicht ist, und noch kaum jemand die Texte kennt, ist es Quatsch, diese zu erläutern. Das ist dann praktisch wie ?Vorkauen?. Viele machen sich dann gar nicht mehr die Mühe, selbst über die Lyrics nachzudenken, sondern nehmen die Aussage von uns als gegeben. Wir wollen jedoch den Hörern mit unseren Texten nix erzählen oder aufzwingen, sondern wollen sie vielmehr dazu anregen, sich damit auseinanderzusetzen. Wenn es dann konkrete Fragen gibt, kann man sich immer noch unterhalten oder diese Fragen stellen.
Mit ?The Greatest Gift Of God? ist ein für HSB sehr untypischer Song auf der Platte vertreten. Wie ist dieser entstanden?
Dieser Song ist eigentlich keiner?hahaha. Wir wollten die Platte eigentlich damit beginnen lassen, dass die Drums einfach nur diesen einfachen Takt spielen und alles andere dann so dazu kommt. Das Ganze ist recht schnell entstanden und hat eigentlich erst im Studio seine endgültige Form angenommen. Nun ist er also ein Outro geworden. Nachdem alle Songs fertig aufgenommen waren, sind wir dann doch zu der Überzeugung gekommen, dass wir am Anfang lieber gleich Vollgas geben wollen.
Ihr seid tief in der Hardcore Szene verwurzelt, euer Sound findet aber auch in der Metalszene immer mehr Anklang. Wie wird euch dort entgegen getreten? Metalheads tendieren oft dazu Metalcore nicht für voll zunehmen?
Davon bekommen wir eigentlich nix mit. Diese Ablehnung findet doch eigentlich nur auf Messageboards statt, wo sich ein paar Leute abgrenzen wollen. Wir selbst haben da noch keine negativen Erfahrungen gemacht. Zumindest sagt uns das niemand ins Gesicht, wenn er uns mies findet. Ich denke aber auch, dass es vielen Leuten auch egal ist, in welches Genre eine Band von der Presse oder vom Label eingeordnet wird.
Wie beurteilt ihr den derzeitigen Hardcore/Metalcore Hype?
Das geht auch wieder vorbei und am Ende wird es ein paar wenige Bands geben, die das Ganze überleben und dann praktisch als Konkursmasse vom Metal einverleibt werden?hehe. Ernsthaft, als so groß empfinde ich den Hype gar nicht. Zumindest nicht hier in Europa, wo traditionelle Metalbands immer noch viel mehr verkaufen, als diese ?Metalcorebands?.Der Hype ist halt herbei geredet worden und einige Label haben dann auch alles gesignt, was nicht bei 3 auf den Bäumen war, aber wirklich gut verkaufen tun doch die wenigsten der Bands. Wir werden sehen, was passiert.
Es scheint so als habe sich Metalcore zu einem eigenständigen Metal Subgenre entwickelt und seinen Bezug zum Hardcore vor allem in ideologischer Hinsicht verloren. Seht ihr das auch so und wie beurteilt ihr das?
Als eigenständiges Subgenre sehe ich Metalcore nicht. Dafür bedienen sich die Bands zu sehr in anderen Genres. Außerdem wird heute alles, was modernen Metal spielt und nicht den typischen ?Metal-Look? hat, in den Topf geworfen. die meisten der Bands, die unter ?Metalcore? laufen, haben nicht das Geringste mit ?Core? zu tun. Das sehe ich auch so. Schon alleine deswegen nehme ich ?Metalcore? als Genre sonderlich ernst. Es ist halt einfach nur ein Begriff zum einsortieren. Wenn uns die Leute dort sehen, dann ist mir das im Prinzip auch recht, weil wir ja irgendwo schon einen Mix aus Metal und Hardcore darstellen. Es stört mich eigentlich sogar eher, wenn dann Bands mit in den Topf geworfen werden, die weder Metal noch Hardcore sind.
Wie sehen eure Zukunftspläne aus?
Naja erstmal die Hell On Earth Tour und dann ein paar Wochenendshows. Viel wird sich also bei und nicht ändern. Wir werden noch versuchen auch mal ein paar Shows außerhalb von Europa zu spielen, weil wir da immer noch weiße Flecken auf unserer Karte haben, aber da muss man sehen, was die Zeit so erlaubt. Mit der neuen Platte werden wir uns dann sicher nicht ganz soviel Zeit lassen, wie mit ?Deaf To Our Prayers?. Es gibt schon ein paar Ideen in die Richtung?
Letzte Worte?
Ja, danke für das Interview und die Zeit! Man sieht sich vielleicht auf der Hell On Earth Tour oder auf der einen oder anderen Show. Dort kann man dort auch einfach mal auf uns zukommen und uns ansprechen, wenn es Fragen gibt. Wir freuen uns da echt über jedes Feedback. Und Werbung auch noch: Checkt alle ?Deaf To Our Prayers? aus! Wir haben uns viel Mühe gegeben;)
Das Interview wurde von Rolf Gehring geführt.
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