HARMFUL - Sanguine
Man sieht ihn richtig vor sich, Aren Emrize, Sänger der Hessen, wie er bei den ersten Tönen vom Opener forschend provokant ins Publikum blitzt, seine Gitarre noch etwas quält bevor auch Drummer und Basser einfallen und das fünfte Album furios starten. Wütend klingt er dieser erste Song, ohne Texte muss ich leider etwas ins Blaue tippen, aber ich denke, da ist jemand sauer auf sein Ex-Label... "Open End" heisst besagter Song und klingt wie eine Kampfansage, so nach dem Motto "Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt dass ihr uns habt fallen lassen!". Wie aber auch bei ausnahmslos allen anderen Songs des Albums kommt irgendwann immer die Melodie, der Refrain, der die Wut ablöst und sich festsetzt. Nicht dass Aren wirklich ein perfekter Sänger wäre, aber wie in der Natur ist es auch hier so, dass wahre Schönheit nicht aus der Perfektion entsteht, sondern von charmanten kleinen Fehlern lebt. Die Stimme kippt, kratzt und bröckelt ab und an, das ist aber wunderbar und verdeutlicht die Quintessenz dieser Band: Ehrlichkeit und Hingabe. Denn auch auf diesem Album kommen die Drei nicht mit Versprechen aus den heimischen Boxen, die sie live nicht einhalten könnten, will sagen, hier wird wenig mit Studiotricks gearbeitet sondern erdig gerockt, da ist die kaum hörbare Akkustik-Gitarre in "No Matter" und ab und an ein gedoppelter Gesang etc. schon fast eine kleine Sensation... Abgesehen vom wütenden ersten Song dreht sich der grosse Rest des Albums wohl zu grossen Teilen um das ewige Thema: Beziehungen, Liebe etc. Besonders bei "I remember you" kommt dies deutlichst zum Ausdruck. Man hört förmlich die Verzweiflung heraus und die wird auch musikalisch perfekt umgesetzt, sicherlich eines der Highlights des Albums. Mit "Desert of Mistakes" ist erneut ein sehr gelungener, ruhigerer Song enthalten, der innerhalb des Bandkosmos wohl gar als Ballade durchgehen würde. Das Artwork vervollständigt das liebevolle Gesamtkonzept, stylisch wie immer mit den üblichen Trademarks (Logo) harmonisch integriert; fast schon gemein, dass die Käufer mal wieder nie die superstylische Promoversion zu Gesicht bekommen werden. Und auch die Homepage wurde vom Design her entsprechend "gleichgeschaltet". Die Tour ist schon gebucht und Harmful werden wohl wieder zu dritt in ihrem VW-Bus unterwegs sein, keine Techniker, Roadies oder Mercher dabei, selbst aufbauen, nach dem Gig Shirts/CDs verkaufen, mit den Zuschauern plaudern, einladen und dann weiterreisen, NO FUSS - JUST MUSIC FROM THE HEART! Überhaupt ist es fast schon wieder lustig, wie die Botschaft zwischen den Zeilen hier einer ganzen Branche den Spiegel vorhält: Es braucht weder Marketing-Strategien noch Bürokomplexe voller BWL-Studenten, Trendscouts und selbsternannter Businesskenner, es ist kein konstruiertes Image, keine Schockeffekte, Drogenexzesse, Promiaffären und pseudointellektuelles Geseier nötig; denn was im Endeffekt zählt und sich im Bestfall durchsetzt ist das Authentische, ist Identität. (tj)